Advent Lesejahr A

4. Adventssonntag

Erste Lesung

Jes 7,10-14

In jenen Tagen sprach der Herr noch einmal zu Ahas; er sagte:
Erbitte dir vom Herrn, deinem Gott, ein Zeichen, sei es von unten, aus der Unterwelt, oder von oben, aus der Höhe.
Ahas antwortete: Ich will um nichts bitten und den Herrn nicht auf die Probe stellen.
Da sagte Jesaja: Hört her, ihr vom Haus David! Genügt es euch nicht, Menschen zu belästigen? Müsst ihr auch noch meinen Gott belästigen?
Darum wird euch der Herr von sich aus ein Zeichen geben: Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären, und sie wird ihm den Namen Immanuel (Gott mit uns) geben.

Zweite Lesung

Röm 1,1-7

Paulus, Knecht Christi Jesu, berufen zum Apostel, auserwählt, das Evangelium Gottes zu verkündigen,
das er durch seine Propheten im Voraus verheißen hat in den heiligen Schriften:
das Evangelium von seinem Sohn, der dem Fleisch nach geboren ist als Nachkomme Davids, der dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt ist als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten, das Evangelium von Jesus Christus, unserem Herrn.
Durch ihn haben wir Gnade und Apostelamt empfangen, um in seinem Namen alle Heiden zum Gehorsam des Glaubens zu führen; zu ihnen gehört auch ihr, die ihr von Jesus Christus berufen seid.
An alle in Rom, die von Gott geliebt sind, die berufenen Heiligen: Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.

Evangelium

Mt 1,18-24

Mit der Geburt Jesu Christi war es so: Maria, seine Mutter, war mit Josef verlobt; noch bevor sie zusammengekommen waren, zeigte sich, dass sie ein Kind erwartete - durch das Wirken des Heiligen Geistes.
Josef, ihr Mann, der gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte, beschloss, sich in aller Stille von ihr zu trennen. Während er noch darüber nachdachte, erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sagte:
Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist. Sie wird einen Sohn gebären; ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen.
Dies alles ist geschehen, damit sich erfüllte, was der Herr durch den Propheten gesagt hat: Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, einen Sohn wird sie gebären, und man wird ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott ist mit uns.
Als Josef erwachte, tat er, was der Engel des Herrn ihm befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich.
4. Advent

Geboren von der Jungfrau (Mt 1/Jes 7)

Mit der Geburt Jesu Christi war es so ... (Mt 1,18a)

Diese unscheinbaren Worte des Evangelisten Matthäus stellen nach christlichem Glauben den Kristallisationspunkt der Geschichte dar. Alle Zeit vor Christus lief auf ihn zu, alle Geschichte nach Christus geht von ihm aus. Mit dem Zeitpunkt, an dem Gott Mensch wird, kann nichts mehr so sein, wie es gewesen ist. In diesem Jesus, von dem uns die Evangelien berichten, erfüllen sich die Verheißungen, die Gott dem Volk Israel seit langem gegeben hat. Er ist gekommen, um die ganze Menschheit zu retten.

Maria, seine Mutter, war mit Josef verlobt; noch bevor sie zusammengekommen waren, zeigte sich, dass sie ein Kind erwartete - durch das Wirken des Heiligen Geistes. (Mt 1,18b)

Was Matthäus hier in einfachen Worten erklärt, wird immer wieder missverstanden und belächelt. Wer nur mit rationalen Argumenten eine Erklärung für das Geschehen sucht, wird die Schwangerschaft Mariens auf andere Ursachen zurückführen, als das Wirken des Heiligen Geistes (Beispiele dafür gibt es genug, sie müssen hier nicht erwähnt werden). Immer haben diese vermeintlich rationalen Erklärungsversuche zugleich auch eine Leugnung der Göttlichkeit Jesu zur Folge. Wer aber in Jesus Christus nur einen besonders erleuchteten Menschen sieht, wie es ihrer viele gab auf Erden, dem verstellt sich der tiefere Blick auf das Geschehen seiner Geburt.
Wenn wir verstehen wollen, was damals geschehen ist, müssen wir die Geschichte von ihrem Ende her betrachten. Die prägende Erfahrung der Jünger mit Jesus Christus war seine Auferstehung. Schon in seinem Leben auf Erden hat Jesus immer wieder darauf hingewiesen, dass er mehr ist als ein normaler Mensch, immer wieder bricht in den Schilderungen der Evangelien seine besondere Beziehung zum Vater im Himmel durch. Dieser Vater im Himmel erweckt Christus nach seinem Tod am Kreuz wieder zum Leben und nimmt ihn auf in seine Herrlichkeit.
Der Platz zur Rechten des Vaters ist aber nicht ein Platz, den Jesus erst nach seiner Himmelfahrt einnimmt, sondern diesen Platz hat er schon seit Ewigkeit. Von dort ist er auf die Erde gekommen und nach seinem irdischen Leben kehrt er dorthin wieder zurück. Matthäus versucht das für Menschen letztlich unergründliche Geschehen darzustellen, wie Gottes Sohn vom Himmel in den Schoß Mariens gelangt, eben durch das Wirken des Heiligen Geistes.
In der Geburt Jesu Christi schenkt Gott den Menschen das größte und unüberbietbare Zeichen seiner Gegenwart: Gott selbst wird Mensch, durchlebt das ganze Menschsein vom Mutterschoß bis zum Tod. Er kommt selbst, um die Menschen aus der Tiefe ihres Daseins emporzuheben in seine Göttlichkeit.
Wunderbar und unbegreiflich ist uns dieses Geheimnis, wie Gottes Sohn, der von Ewigkeit her beim Vater ist, Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, in der Zeit Mensch werden konnte, geboren von einer Jungfrau.

Ohne aufzuhören, der zu sein, der er war, wollte er werden, was er selbst geschaffen hatte.

In der Menschwerdung Gottes erkennen wir seine Liebe zu uns Menschen. Augustinus sagt:

Wie sehr hast du uns geliebt, gütiger Vater!
Wäre dein Wort nicht Fleisch geworden
und hätte es nicht unter uns gewohnt,
so hätten wir glauben müssen,
dass keine Verbindung ist
zwischen Gott und der Menschheit.

So aber hat Gott den Weg bereitet, auf dem wir zu ihm gehen können. Es ist der Weg, auf dem er selbst zu uns gekommen ist. Gott will mit uns in Verbindung treten, will bei uns Menschen sein und will, dass wir einmal auf ewig bei ihm sind in der Heimat im Himmel, die er für uns bereitet hat.

Er hat sein letztes, tiefstes und schönstes Wort Gestalt werden lassen. Und dieses Wort heißt: Ich liebe dich, du Welt, du Mensch. (Karl Rahner)
4. Advent
Josef, ihr Mann, der gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte, beschloss, sich in aller Stille von ihr zu trennen. Während er noch darüber nachdachte, erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sagte: Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist. Sie wird einen Sohn gebären; ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen. (Mt 1,19-21)

Rückblickend aus der Sicht des Glaubens erscheint das alles großartig, was in jenen Tagen geschehen ist. Der Glaube an die Jungfräulichkeit Mariens wischt alle Zweifel an ihrer Sittlichkeit hinweg. Doch wenn sogar heute noch der Spott der Welt über jene Ereignisse ausgegossen wird, wie groß mag er damals gewesen sein, als noch keiner etwas wusste vom glorreichen Leben und Auferstehen des Gottessohnes. Maria war mit Josef verlobt. Damals war ein solches Verlobungsjahr üblich, in dem Mann und Frau noch getrennt lebten, bevor sie dann nach der Hochzeit feierlich zusammenzogen. Dass eine Frau in dieser Zeit schwanger wurde, galt als Schande, und wenn das Kind wie im Fall Mariens nicht vom eigenen Verlobten war, so drohte eine Anklage auf Ehebruch und in deren Folge die Steinigung.
Josef hatte also allen Grund, darüber nachzudenken, was denn zu tun sei. Die Situation war höchst brisant, seine Ehre und das Leben seiner Verlobten standen auf dem Spiel. Josef wird ein Gerechter genannt. Wäre diese Gerechtigkeit eine alleinige Gesetzesgerechtigkeit, so hätte er Maria dem Gericht übergeben müssen. Doch dies war nicht seine Absicht. Er wollte sich in aller Stille von Maria trennen – wenn da nicht Gott durch seinen Engel ihm zu etwas anderem geraten hätte. Gott stellt Josefs Glauben auf eine harte Probe. Kann er darauf vertrauen, dass das Kind in ihrem Leib nicht von einem anderen Mann stammt, sondern - solches hat man noch nie gehört - durch Gottes Heiligen Geist gewirkt wurde?

Aus drei Gründen erschien der Engel dem Josef und sagte dies zu ihm. Zunächst, damit der gerechte Mann in guter Absicht nicht aus Unwissenheit ein Unrecht begehe. Sodann wegen der Ehre der Mutter selbst. Wäre sie nämlich entlassen worden, hätte sie bei den Ungläubigen einem schändlichen Verdacht nicht entgehen können. Drittens, damit Josef im Wissen um ihre heilige Empfängnis sich umso sorgsamer als früher von ihr fernhalte. ... Der Engel entschuldigt Maria nicht allein von unreinem Umgang, sondern er offenbart auch, dass sie auf übernatürliche Weise empfangen hat. Er nimmt nicht nur die Befürchtung hinweg, sondern er fügt sogar Freude hinzu. (Johannes Chrysostomus)
4. Advent
Dies alles ist geschehen, damit sich erfüllte, was der Herr durch den Propheten gesagt hat: Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, einen Sohn wird sie gebären, und man wird ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott ist mit uns. (Mt 1,22-23)

Das, was hier geschieht, war dem Volk Israel schon durch die Jahrhunderte hinweg verheißen. In der Geburt Jesu Christi erfüllt sich, was der Prophet Jesaja (7,14) gesagt hat:

Darum wird euch der Herr von sich aus ein Zeichen geben: Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären, und sie wird ihm den Namen Immanuel (Gott mit uns) geben. (Jes 7,14)

Betrachten wir zunächst einmal dieses Zitat im Kontext des 7. Kapitels des Jesajabuches. Den historischen Hintergrund bildet der sogenannte syrisch-ephraimitische Krieg. Durch die Ausbreitung des Assyrischen Reiches sind die Kleinstaaten des Vorderen Orient in Bedrängnis geraten. Es werden unterschiedliche Bündnisse geschlossen. Ein Großteil des Nordreiches Israel ging damals verloren. Ahas, der König von Juda, betrachtet mit Bangen die Ereignisse um ihn herum. Gegen die Übermacht Assurs wird er Juda und Jerusalem nicht verteidigen können. In diese Situation hinein spricht der Prophet Jesaja zum König. Er ermutigt ihn, auf Gott zu vertrauen, darauf, dass Gott nicht zulassen wird, dass Jerusalem erobert wird. Doch dem König fehlt dieses Vertrauen. Er ist nicht einmal dazu bereit, ein Zeichen zu erbitten, das dieses Vertrauen stärken könnte. Darum wird Gott selbst ein Zeichen geben: die Geburt des Immanuel.
Wenn man sich in diese Situation hineinversetzt - der drohende Untergang des Volkes angesichts der Übermacht der Feinde - so ist der Trost zu spüren, der aus den Worten des Propheten spricht. Selbst in der größten Not lässt Gott sein Volk nicht im Stich. Er wird zu allen Zeiten ein Zeichen für seine Nähe, für seine Gegenwart unter den Menschen setzen.

Maria ist die unversehrte Jungfrau. Wir glauben an ihre Jungfräulichkeit vor, während und nach der Geburt Jesu Christi. Immer wieder wird darüber diskutiert, ob Matthäus bei der Verwendung des Zitates aus Jesaja breits die Jungfräulichkeit Mariens vor Augen hatte, oder ob dies erst eine spätere theologische Interpretation des Geschehens ist. Bei Jesaja steht im Originaltext das Wort "alma", das zunächst einmal junge Frau bedeutet. Die Septuaginta, die Übersetzung des Alten Testaments ins Griechische, verwendet aber bereits das Wort "parthenos", das Jungfrau bedeutet. Es ist also nicht erst christliche Interpretation, in Jesaja 7,14 die Jungfrauengeburt zu sehen. Hören wir, was der hl. Hieronymus zu diesem Thema sagt:

Im Hebräischen wird eine Jungfrau "bethula" genannt, aber dieses Wort steht an dieser Stelle nicht beim Propheten, sondern er hat dafür das Wort "alma" verwendet und das übersetzen alle (außer der Septuaginta) mit "junge Frau". ... So weit ich mich aber erinnere, habe ich glaube ich nirgends gelesen, dass das Wort "alma" für eine verheiratete Frau verwendet wurde. Vielmehr wird es von einer Jungfrau gesagt, die nicht nur Jungfrau, sondern auch in jungem Alter ist.

Das über die Jungfräulichkeit Mariens gesagte kommt in der Marianischen Antiphon "Alma Redemptoris Mater" zum Ausdruck, die in der Kirche während der Advents- und Weihnachtszeit zum Abschluss des Tages gesungen wird:

Alma Redemptoris Mater,
quae pervia caeli porta manes,
et stella maris, succurre cadenti,
surgere qui curat, populo:
tu quae genuisti, natura mirante,
tuum sanctum Genitorem
Virgo prius ac posterius,
Gabrielis ab ore sumens illud Ave,
peccatorum miserere.
Erhabene Mutter des Erlösers,
du allzeit offne Pforte des Himmels
und Stern des Meeres, komm, hilf deinem Volke,
das sich müht, vom Falle aufzustehn.
Du hast geboren, der Natur zum Staunen,
deinen heiligen Schöpfer.
Unversehrte Jungfrau,
die du aus Gabriels Munde nahmst das selige Ave,
o erbarme dich der Sünder.

Was im Deutschen mit "unversehrte Jungfrau" übersetzt ist, heißt wörtlich "Jungfrau davor und danach", was nochmals deutlich die Lehre der Kirche von der immerwährenden Jungfräulichkeit Mariens vor, während und nach der Geburt deutlich macht.

4. Advent
Als Josef erwachte, tat er, was der Engel des Herrn ihm befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich. Er erkannte sie aber nicht, bis sie ihren Sohn gebar. Und er gab ihm den Namen Jesus. (Mt 1,24-25)

Josef ist nicht nur ein Träumer. Er ist auch ein Mann des Glaubens und ein Mann der Tat. Er vernimmt die Worte des Engels im Traum und nachdem er erwacht tut er sofort, was der Engel ihm aufgetragen hat. Er nimmt Maria zu sich und wird zum Nährvater Jesu. Er vertraut darauf, dass es mit dem Kind etwas Besonderes auf sich hat, dessen er sich nicht zu schämen braucht.
Man könnte die Worte des Evangelisten dahin deuten, dass Maria zwar bei der Geburt Jesu Jungfrau war, dass aber Josef später mit ihr zusammengekommen wäre und womöglich auch noch andere Kinder gezeugt habe. Hören wir, was hierzu Basilius der Große sagt:

Der Satz "Er erkannte sie aber nicht, bis sie ihren Sohn gebar" (Mt 1,25) legt die Vermutung nahe, dass Maria, nachdem sie bei der vom Heiligen Geist vollzogenen Geburt des Herrn in Reinheit mitgewirkt hatte, den erlaubten ehelichen Verkehr nicht mehr abgelehnt hat. ... Wir Christusfreunde können aber solches Gerede nicht billigen, dass die Gottesgebärerin einmal nicht mehr Jungfrau war.

Basilius macht deutlich, dass das Wort "bis" nicht zwangsläufig eine zeitliche Begrenzung angibt. Das sieht er in dem Wort Jesu "Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt" (Mt 28,20) ausgedrückt:

Der Herr wird doch wohl auch nach dieser Weltzeit bei den Heiligen sein! Denn die Verheißung der Gegenwart weist hin auf die Fortdauer, sie ist kein Ausschluss der Zukunft. In derselben Weise ist nach unserer Überzeugung auch hier das "bis" zu verstehen
Als Josef von Trauer verwundet ward und
nach Betlehem zog, sprachst du, Jungfrau, zu ihm:
Warum bist traurig du und verwirrt
beim Anblick meiner Schwangerschaft?
Erkennst du denn nicht
das schaudervolle Geheimnis in mir?
Überwinde endlich alle Angst
und sinne über das Wunder nach.
Denn Gott kam zur Erde in seinem Erbarmen,
in meinem Schoß jetzt nahm er Fleisch an.
Wenn er geboren ist,
wirst nach seinem Wohlgefallen du ihn sehen
und wirst, erfüllt von Freude,
ihn anbeten als deinen Schöpfer.
Ihn preisen in Hymnen die Engel ohne Unterlass
und verherrlichen ihn mit dem Vater und dem Heiligen Geist.
4. Advent

Das Evangelium des Paulus (Röm 1)

Das Evangelium von seinem Sohn, der dem Fleisch nach geboren ist als Nachkomme Davids, der dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt ist als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten, das Evangelium von Jesus Christus, unserem Herrn. (Röm 1,3-4)

Am Beginn des Römerbriefes stellt Paulus sich den Römern als von Jesus Christus selbst berufener Apostel und Verkünder des Evangeliums vor. Dabei kommt es für ihn nicht so sehr darauf an, das Leben Jesu in seinen Einzelheiten zu schildern, wie es die Schriften, die wir heute Evangelien nennen, tun. Anders als die übrigen Apostel hat Paulus Jesus Christus nicht als Mensch gekannt, sondern wurde erst einige Zeit nach Jesu Auferstehung durch ein Ereignis, das für ihn eine persönliche Begegnung mit Jesus Christus bedeutet hat, mit ihm bekannt.
Paulus war von Jugend an ein jüdischer Gesetzeslehrer. Er kannte die heiligen Schriften der Juden und deren Auslegung bestens und sicher auch wichtige Teile davon auswendig. Er suchte nach der Gerechtigkeit und diese bestand darin, die Gebote Gottes zu kennen und vollkommen zu erfüllen. Wie alle frommen Juden war er sich aber auch dessen bewusst, dass kein Mensch auf Erden das Gesetz Gottes vollkommen erfüllen kann. Er wusste aber auch um Gottes Barmherzigkeit und er kannte die Verheißungen, dass Gott seinem Volk den Messias und Retter senden wird.
Dann kamen ihm Berichte von einer neuen Gemeinschaft zu Ohren, die er anfangs für eine jüdische Sekte hielt, die gegen das Gesetz Gottes gerichtet war. Er war überzeugt, dass dieser Jesus, der diese Sekte gegründet hat, ein falscher Prophet war und keineswegs der Messias, für den seine Anhänger ihn hielten. Ging diese Bewegung doch überwiegend von einfachen Leuten aus Galiläa aus und wurde von seinen "Kollegen", den Schriftgelehrten in Jerusalem, entschieden abgelehnt, so sehr, dass sie die Hinrichtung dieses Jesus erreicht haben. Er setzte darum alles daran, die Anhänger dieses Jesus mit Macht und Gewalt zu beseitigen.
Und dann verändert ein Ereignis auf seinem Weg nach Damaskus sein Leben grundlegend. Er erkennt in dem, was geschieht, Jesus. Er weiß nun, dass dieser Jesus, der in Jerusalem unter den Augen der jüdischen Obrigkeit von den Römern hingerichtet wurde, nicht tot ist, sondern lebt. Er weiß nun, dass dieser Jesus kein gewöhnlicher Mensch war, sondern der Messias, Gottes Sohn, den Gott gesandt hat, sein Volk und die ganze Welt zu retten.
Das ist von nun an das Evangelium des Paulus, dass Gott seinen Sohn gesandt hat, der Mensch geworden ist, nicht nur zum Schein, sondern wirklicher Mensch mit Fleisch und Blut. Er ist wirklich gestorben am Kreuz, aber Gott hat ihn auferweckt. Gottes Sohn, der tot war, lebt. Das zeigt Gottes Macht deutlicher als alles andere, was Gott bisher in seinem Volk getan hat. Paulus selbst hat die Macht des Auferstandenen in seiner Begegnung mit ihm auf dem Weg nach Damaskus erfahren.
Wirklich auferstanden sein kann Jesus aber nur, wenn er wirklich Mensch geworden ist und als solcher auch wirklich gestorben ist. Immer wieder kam die irrige Meinung auf, dass Jesus vielleicht nur scheinbar ein Mensch geworden ist. Er hätte nur einen Scheinleib gehabt, in Wirklichkeit aber wäre er gar kein Mensch gewesen. Aber wie sollte dann die Auferstehung Jesu jenes machtvolle Ereignis sein, das die Apostel angetrieben hat, von Jesus zu verkünden, dass er lebt? Nur wer glaubt, dass Jesus wirklich Mensch geworden ist und dass er wirklich gestorben ist, kann auch wirklich an Gottes Macht glauben, die Jesus auferweckt hat.
Es lohnt sich, gerade um Weihnachten herum einmal innezuhalten und sich wieder neu vor Augen zu führen, was damals geschehen ist, in jener Nacht, als Gottes Sohn geboren wurde. Wie nah ist uns Gott hier gekommen, dass er uns gleich geworden ist. Nicht nur zum Schein, sondern wirklich in Fleisch und Blut. Wer schon einmal ein neugeborenes Kind gesehen oder gar in Händen gehalten hat weiß, wie verletzlich und schutzbedürftig so ein Neugeborenes ist. So ist Gott geworden.
Und jetzt denken wir einmal weiter vom Beginn an das Ende des Lebens. Der Tod ist eine Grenze, über die wir nicht hinausblicken können. Die Auferweckung Jesu Christi zeigt uns aber, dass nach dieser Grenze das Leben auf uns wartet, ein neues Leben bei Gott, das herrlicher ist, als wir es uns vorstellen können. Ohne den Glauben an die Menschwerdung Gottes gibt es keinen Glauben an die Auferstehung und ohne Auferstehung hätte die Geburt Jesu keine Bedeutung für uns. Geburt und Auferstehung Jesu Christi bilden die Grundpfeiler des Evangeliums, und ohne diese beiden wäre alles andere sinnlos.

Herr Jesus,
lass mich erspüren
wie es damals war,
als du geboren wurdest.
Ich will dich sehen als Gott,
der wahrhaft Mensch geworden ist.
Ich will in tiefem Glauben
niederfallen und anbeten,
aber auch deine Nähe spüren,
dass du als Gott nicht
in fernen Welten geblieben bist,
sondern uns so nahe gekommen bist,
Jesus, du mein Herr und Gott.
Amen.
4. Advent

Die Verheißung des Jesaja und ihre Erfüllung ist auch dargestellt in der Ikone der Muttergottes vom Zeichen ("Znamenie"). Wir sehen die Allheilige Gottesgebärerin mit zum Gebet erhobenen Händen und in einem Kreis (einer Aureole, welche die göttliche Macht symbolisiert) das segnende Kind, den göttlichen Erlöser. Sie zeigt Maria bei der Verkündigung durch den Engel. Es ist der Augenblick, in dem sie spricht: "Mir geschehe nach deinem Wort", und dieses Wort in ihr Fleisch anzunehmen beginnt. Maria trägt nun den in ihrem Schoß, den die Himmel nicht fassen können. Die Ikone erinnert uns daran, dass sich hier noch im Leib seiner jungfräulichen Mutter, eingeschlossen in die Entsagung dieser Welt und gekleidet in die Erbärmlichkeit und Einfachheit des menschlichen Fleisches, der Hohepriester des neuen Bundes verbirgt: Christus, der König der Könige und Herr der Herren. Er ist der Immanuel, in dem sich Gott als der "Gott mit uns" für alle Menschen erweist. Jeder Mensch kann Gottes rettende Gegenwart erfahren.

Das seit Ewigkeit verborgene Geheimnis
wird heute offenkundig:
der Sohn Gottes wird ein Sohn des Menschen,
damit er in der Annahme des Schlechteren
mir schenke das Bessere.
Einst wurde Adam betrogen:
Als er begehrte, Gott zu werden, wurde er es nicht.
Doch Gott wird Mensch,
damit er zu Gott den Adam mache.
Jubeln soll die Schöpfung!
(Gebet der Ostkirche)
Christus ist geboren von einem Vater und von einer Mutter,
zugleich aber ohne einen Vater und ohne eine Mutter:
von einem Vater geboren als Gott,
von einer Mutter als Mensch;
ohne eine Mutter als Gott,
ohne einen Vater als Mensch.
(Augustinus)