Österliche Bußzeit

3. Fastensonntag

Fastenzeit
Fastenzeit

Introitus "Oculi mei"

Die Bedeutung des Introitus

Der erste Fastensonntag stand unter dem Thema der Versuchung des Herrn, am zweiten Fastensonntag haben wir seine Verklärung auf dem Berg Tabor betrachtet. Ab dem dritten Fastensonntag variieren die Inhalte der Evangelientexte der verschiedenen Lesejahre, was gleich bleibt sind aber die Gebete zur Messfeier und auch der Eröffnungsvers.
Der Eröffnungsvers, auch Introitus genannt, war ursprünglich der Gesang, der den feierlichen Einzug des Priesters zum Beginn der Messfeier begleitete. Jeder Sonntag hat seinen eigens komponierten Introitus - in lateinischer Sprache versteht sich - der dem jeweiligen Sonntag auch seinen Namen gab. Heute kennen wir davon allenfalls noch den Laetare- und Gaudete-Sonntag. Die gregorianischen Introitusgesänge werden heute fast nur noch in Klöstern gesungen. Beim Gemeindegottesdienst tritt gewöhnlich ein Eröffnungslied aus dem Gotteslob an seine Stelle. Manchmal zitiert der Priester nach der Begrüßung den Eröffnungsvers auf Deutsch.
Auch wenn viele Gläubige beim Besuch der Messe gar nichts von dem Eröffnungsvers mitbekommen, so lohnt es sich doch, ab und an diese Texte, die überwiegend aus den Psalmen stammen, etwas näher zu betrachten. Introitus kommt vom lateinischen Wort introire (hineingehen). Damit ist mehr gemeint, als der Einzug von der Sakristei zum Altar. Das Wort steht auch für die Wendung des Bewusstseins von außen nach innen. Der Introitus ist die Einladung an alle, einzutreten in die Heiligen Geheimnisse und den Blick von den Äußerlichkeiten weg auf den zu richten, der Mitte und Ziel unseres Lebens ist.
Auch in unserem Alltag müssen wir immer wieder solche Momente finden, in denen wir innehalten, das Getriebe der Geschäftigkeit unterbrechen und den Blick in unser Inneres richten - und auf Gott. Nehmen wir die Worte des Psalms 25, aus dem der Eröffnungsvers des Dritten Fastensonntags entnommen ist, mit in den Tag und lassen wir sie ab und an in uns widerhallen. In mehreren Schritten wollen wir dann diese Worte einzeln betrachten.

Meine Augen schauen stets auf den Herrn;
denn er befreit meine Füße aus dem Netz.
Wende dich zu mir und sei mir gnädig;
denn ich bin einsam und gebeugt. Ps 25,15f.
Fastenzeit

Zeige mir, Herr, deine Wege

In Psalm 25 sucht der Beter nach seinem Weg mit Gott. Vom Blick auf Gott hin will er sein Leben gestalten. Gott soll die Mitte seines Lebens sein.

Zeige mir, Herr, deine Wege, lehre mich deine Pfade! (Ps 25,4)

Bei diesem Blick auf Gott erfährt sich der Beter zugleich als Sünder. Vor Gottes Gerechtigkeit kann der Mensch eigentlich nicht bestehen. Der Beter aber weiß: Gott ist barmherzig. Er ist allezeit bereit, dem Menschen, der sich ihm zuwendet, seine Schuld zu vergeben.

Denk an dein Erbarmen Herr!
Denk nicht an meine Jugendsünden!
In deiner Huld denk an mich, Herr,
denn du bist gütig!
Alle Pfade des Herrn sind Huld und Treue.
Um deines Namens willen, Herr, verzeih mir,
denn meine Schuld ist groß. (vgl. Ps 25,6-11)

Gott will dem Menschen vergeben - uns aber fällt es oft so schwer, unsere Fehler einzugestehen. Ängstlich versuchen wir sie vor Gott zu verbergen und bauen mit unseren Sünden eine Mauer um uns, mit der wir Gottes Liebe von uns fernhalten.
Diese Fastenzeit soll uns helfen, ehrlich auf unser Leben zu schauen. Lassen wir uns führen von Gottes Erbarmen und halten wir ihm wie der Beter des Psalms offen unsere Fehler hin. Natürlich auch das, was gut ist in unserem Leben! Alles dürfen wir Gott zeigen. Haben wir keine Angst davor, uns Gottes Liebe auszuliefern. In seinen Händen sind wir sicher geborgen. Er weiß mehr als wir selbst, was gut für uns ist.

Meine Augen schauen stets auf den Herrn

Kommen wir zurück zu den Versen des Introitus.

Meine Augen schauen stets auf den Herrn. Ps 25,15

Lassen wir diesen Vers auf uns wirken. Wie kann ich das, meine Augen immer auf Gott gerichtet halten? Es strömen doch jeden Tag so viele Bilder auf mich ein. Gott finden in allen Dingen, das ist ein Leitwort ignatianischer Spiritualität. Vielleicht kann uns ein Vergleich mit dem körperlichen Licht helfen, diesen Satz besser zu verstehen.
Um etwas sehen zu können, brauchen wir Licht. Wo das Licht fehlt, kann unser Auge nichts erkennen. Wir sagen von Gott, dass er das Licht der Welt ist. Viele christliche Feste sind eng mit der Lichtsymbolik verbunden, denken wir nur an die Lichter des Weihnachtsbaumes oder liturgisch noch beeindruckender die Lichtfeier der Osternacht. Wie wir zum Sehen der körperlichen Dinge das geschaffene Licht brauchen, so können wir mit Gottes ungeschaffenem Licht in allen Dingen eine tiefere Wirklichkeit erkennen.
In dieses tiefere Sehen, das alles im Licht Gottes sieht, können wir uns einüben. Ein erster Schritt kann sein, für Gott eine feste Zeit in meinem Tagesablauf einzuplanen. Einige Minuten der Stille, in denen ich einen Text aus der Heiligen Schrift betrachte, ein Gebet aus einem Buch lese und bete, am Abend einige Minuten, in denen ich auf den Tag zurückblicke, das Schöne und auch das weniger Schöne ansehe, das an diesem Tag passiert ist. Ich versuche, in all den Erlebnissen des Tages Gott zu entdecken. Wo konnte ich Gottes Nähe erfahren - aber auch: wo schien er mir fern zu sein?

Fastenzeit

Wenn ich mir so täglich mit keinen Schritten die Gegenwart Gottes in meinem Leben in Erinnerung rufe, wird Gott auch immer mehr während des Tages in meinen Gedanken präsent sein. Dann fange ich an, alles, was ich tue, mit Gott zu tun. Dann frage ich danach, was Gott gefällt. Nicht ängstlich und skrupelhaft, sondern mit dem Vertrauen, dass Gott alle meine Wege mitgeht, auch wenn ich einmal einen falschen Weg gegangen bin.
Die letzte Erfahrung von Gottes Gegenwart bleibt aber sein besonderes Geschenk. Basil Hume sagt:

Unsere Aufgabe ist der Versuch und die Bemühung, Gott nahe zu kommen - aber die tatsächliche Erfüllung und Tröstung sind sein Geschenk.

So dürfen wir nicht mutlos werden, wenn wir trotz unserer Bemühungen, Gott in unserem Leben Raum zu geben, in manche Durststrecken geraten und es uns in manchen Dunkelheiten schwer fällt, Gottes Licht zu entdecken. Wir müssen lernen, geduldig zu sein und treu in den kleinen Dingen des Alltags.
Gott, du bist immer bei mir. Lass die Augen meines Herzens stets auf dich gerichtet sein. Lass mich deine Gegenwart in meinem Leben erkennen. Lass mich immer auf dich schauen und lass mich erkennen, wohin du mich führen möchtest.

Freiheit und Hoffnung

Unsere Gesellschaft bietet uns ein hohes Maß an persönlicher Freiheit - und doch sind wir oft gefangen, ohne es vielleicht selbst zu merken. Gott will uns Freiheit schenken. Der Psalm gebraucht hier ein eindrucksvolles Bild:

Fastenzeit
Er befreit meine Füße aus dem Netz. Ps 25,15

Wie ein Vogel sich im Netz des Fallenstellers verfängt oder ein Gefangener an eine Kette gefesselt ist, so sind wir oft gefangen in der Routine des Alltags und den Zwängen, die unser Verhalten bestimmen. Jorge Bucay erzählt folgende Geschichte:
Als Junge hat er sich über den Zirkuselefanten gewundert. Das große und starke Tier war mit seinem Fuß an einer Kette angebunden, die nur mit einem kleinen Pflock befestigt war. Mit Leichtigkeit hätte sich der Elefant von einem solchen Pflock befreien und fliehen können. Warum tat er es nicht? Nach langem Fragen hatte er endlich eine befriedigende Erklärung:
Der Zirkuselefant flieht nicht, weil er schon seit frühester Kindheit an einen solchen Pflock gekettet ist.
Als kleiner Elefant war es ihm natürlich nicht möglich gewesen, sich von diesem Pflock zu befreien. Er mag es anfangs versucht haben, aber irgendwann hat er es aufgegeben, hat seine Ohnmacht akzeptiert und sich in sein Schicksal gefügt. Nie wieder hat er seither versucht, seine Kraft auf die Probe zu stellen.

Geht es uns nicht auch so wie diesem Elefanten? Sicher, wir haben unsere Schwächen, mit denen wir uns abfinden müssen. Aber fehlt uns nicht manchmal der Mut, es trotzdem zu wagen? Hat sich nicht bei manchen Dingen die Erinnerung an unser früheres Scheitern so weit in uns festgesetzt, dass sie uns wie eine Fessel hält?
Oft können wir uns nicht alleine von dieser Fessel befreien. Aber wir müssen sie selbst erkennen, dann erst können wir Wege suchen, sie zu lösen. Gott möchte uns Mut machen, dass wir es immer wieder neu wagen, uns von falschen Zwängen zu befreien, damit wir nicht resigniert zurückbleiben. Wenn ich mir in dieser Fastenzeit Gedanken darüber mache, auf was ich verzichten kann, merke ich vielleicht erst, wie sehr manche Dinge mein Leben bestimmen.

Wende dich mir zu und sei mir gnädig, denn ich bin einsam und gebeugt. Ps 25,16

Es ist manchmal so leicht, unser Elend zu bedauern und so schwer, dagegen anzugehen.
Was uns fehlt, ist oft die Hoffnung. Von dieser Hoffnung sagt Fridolin Stier:

Gott schreibt gerade, auch auf krummen Linien - ist leider das Alphabet noch nicht entziffert.
Dauernd in den roten Zahlen und dennoch niemals pleite - die Firma heißt "Hoffnung".
Um mit deinen Verhältnissen besser fertig zu werden, spricht die Hoffnung, musst du über deine Verhältnisse hinausleben.
Von allen Hoffnungen, die sie begräbt, bleibt sie allein übrig, die Hoffnung.
Wer hofft, ist sich selbst immer ein paar Schritte voraus.
Hoffen heißt, von einem geheimen Versprechen zu leben.
Oder: Hoffen - im Unerfüllten von verheißener Fülle leben.
"Ich bin im Kommen", sagt die Hoffnung zur Realität, die sich über sie lustig gemacht hatte, "du bist im Gehen."
Befrei mein Herz von der Angst, führe mich heraus aus der Bedrängnis! Ps 25,17

So heißt es weiter im Psalm.
Gott, mehre in uns die Hoffnung, dass du Leben bist und Leben schenkst.
Lass mich deine Gegenwart erfahren in meinem Leben
und gib mir den Mut, mit dir mein Leben zu wagen.