Heilige Woche

Dienstag

Lukas

Jesus und seine Gegner

Am Dienstag der Karwoche kommt Jesus noch einmal in den Tempel und diskutiert ein letztes Mal mit den religiösen Führern. Sie erkennen Jesus nicht an. Jesus ist nicht der Messias, den sie erwarten. Sie wollen, dass alles so bleibt, wie es ist und wie es ihrem eigenen Vorteil nützlich ist. Daher verkündet Jesus in einer langen Rede den Untergang des Tempels, der dann ja auch durch die Römer herbeigeführt wurde. Die religiösen Führer der Juden aber wollen nur noch eines: Jesus möglichst schnell aus dem Weg räumen. Der Beschluss ist schnell gefasst, nun warten sie nur noch auf eine günstige Gelegenheit, diesen auszuführen.
Der Verrat durch Judas, der nach alter Tradition am Mittwoch der Karwoche stattgefunden hat, eröffnet dem Hohen Rat der Juden eine Möglichkeit, Jesus unauffällig in ihre Gewalt zu bringen. Unterdessen bereiten sich Jesus und seine Jünger auf das letzte Abendmahl vor.

Da fragte er sie. (Lk 20,41a)

Jesus hat mit den Sadduzäern und Schriftgelehrten in Jerusalem mehrere Streitgespräche geführt und diese schließlich zum Schweigen gebracht, weil sie sich eingestehen mussten, dass er die besseren Argumente hat. Er hat gezeigt, dass ihre Lehrmeinungen auch im Hinblick auf das Wort der Schrift, auf das sie sich ja berufen, einer kritischen Prüfung nicht standhalten können. Jedoch hat das ihre Einstellung nicht verändert, sondern sie vielmehr in ihrem Vorhaben bestärkt, dass Jesus aus dem Weg geräumt werden muss, weil er für das Volk gefährlich ist. Da seine Gesprächspartner nicht mehr mit ihm reden wollen, ergreift Jesus selbst mit einer Frage die Initiative, um noch ein weiteres gravierendes Missverständnis auszuräumen. Es geht darum, wie der rechtmäßige Messias zu erkennen ist.

Wie kann man behaupten, der Christus (Gesalbte/Messias) sei der Sohn Davids? (Lk 20,41b)

Christus ist die griechische Übersetzung für "Messias", was zu Deutsch "der Gesalbte" heißt. Gesalbte waren die Könige Israels, beginnend mit Saul bis hin zu König Zidkija. Das Haus Saul wurde aber von Gott verworfen und mit König David eine neue Dynastie eingesetzt, die bis zum babylonischen Exil Bestand hatte. Erst Nebukadnezzar führte mit der Gefangennahme Zidkijas und der Hinrichtung von dessen Söhnen das Ende des Hauses David herbei.
Bis dahin waren alle Könige Gesalbte und diese Salbung machte sie zu besonderen Mittlern zwischen Gott und den Menschen. Auch wenn viele von ihnen dieser besonderen Rolle nicht gerecht wurden, trug der König doch stets vor Gott die Verantwortung für sein Volk. Alle Könige wurden an dem Idealbild gemessen, nach dem die Heilige Schrift den König David beschrieben hat. An ihn ist auch die Verheißung des Propheten Natan ergangen:

Dein Haus und dein Königtum werden vor dir auf ewig bestehen bleiben; dein Thron wird auf ewig Bestand haben. (Sam 7,16)

Das bedeutet, dass es dem Haus David nie an einem Nachkommen fehlen wird. Nun aber war das davidische Königtum im babylonischen Exil untergegangen. Also musste dieses Wort der Schrift noch eine tiefere Bedeutung haben. Für viele gläubige Juden nach dem babylonischen Exil bis heute erwuchs daraus die Erwartung, dass Gott seinem Volk einen neuen Gesalbten senden wird, der das davidische Königtum erneuern und das Volk zu neuem Ruhm führen wird.
Es gab in den einzelnen jüdischen Gruppierungen ziemlich genaue Vorstellungen davon, wie das Kommen dieses Messias erfolgen würde. Sein Erscheinen wurde immer mehr mit dem Anbruch der Endzeit in Verbindung gebracht. Er sollte vom Ölberg her nach Jerusalem einziehen und dabei die Toten zu neuem Leben führen, weshalb der Ölberg bis heute der bevorzugte Begräbnisort vieler gläubiger Juden ist.
Jesus zog vom Ölberg her nach Jerusalem ein und vielen Menschen erschien Jesus als der Messias, der sein Volk retten wird. Die "Hosanna"-Rufe bei seinem Einzug in Jerusalem machen das deutlich. Doch viele haben sich den Messias anders vorgestellt. Er sollte kämpferischer sein, sein Volk von der Besatzungsmacht der Römer befreien, vor allem sollte er dem Tempelkult und den religiösen Führern der Juden mehr verbunden sein. Einen solchen Messias wie Jesus konnten sie nicht akzeptieren.
Vielleicht lag das auch daran, dass viele lieber einen "menschlichen" Messias gehabt hätten, der wie viele Könige der alten Zeit sich auf die Seite der Mächtigen stellt und ihren Einfluss gegenüber der einfachen Bevölkerung noch vergrößert. Einen Messias, der sich der einfachen Menschen annimmt und dessen Gefolge aus Fischern und Handwerkern aus der Provinz Galiläa besteht, den wollte man in Jerusalem nicht.
Wo ist denn das Königliche an Jesus? Die religiösen Führer waren blind dafür. Die Evangelisten aber möchten uns die Augen dafür öffnen. Jesus stammt durch seinen Adoptivvater Josef aus dem Haus Davids, er erfüllt die Verheißungen, die in der Heiligen Schrift über den Messias gemacht werden und sein Weg ans Kreuz ist eine verborgene Krönungszeremonie.
Jesus, der Gesalbte, der Christus, der Messias, ist eben nicht deshalb Messias, weil er den Erwartungen der Mächtigen entspricht und wie ein weltlicher Herrscher mit seinen Stärken und Schwächen auftritt, sondern weil er mehr ist als ein König. Er ist nicht Sohn und Nachfolger Davids, sondern steht über David, ist dessen "Herr", weil er der Sohn Gottes und Gott ist. Dies macht Jesus mit einem Zitat aus dem Königspsalm 110 deutlich:

Liebe
Denn David selbst sagt im Buch der Psalmen: Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich mir zur Rechten, bis ich dir deine Feinde als Schemel unter die Füße lege! David nennt ihn also Herr. Wie kann er dann sein Sohn sein? (Lk 20,42-44)

Der Messias ist anders, als ihr euch das vorstellt, das will Jesus den religiösen Führern deutlich machen. Doch auch wir müssen unsere Gottesbilder immer wieder überprüfen. Gestehen wir Gott zu, dass er anders ist? Dass er nicht dazu missbraucht werden will, den Einfluss der Mächtigen zu stärken? Dass er sich wirklich der Armen und Unterdrückten annimmt und sie nicht nur ruhig stellt durch Almosen, sondern dass er sie wirklich in die Freiheit und Unabhängigkeit führen will?
Hüten wir uns davor, Gottes Wort in die engen Schubladen unserer Kleinkrämerei zu packen. Geben wir ihm seine Sprengkraft wieder, mit der Jesus die Fesseln des Todes zerbrochen hat. Nur so können auch wir das neue Leben erfahren, das Jesus der ganzen Welt gebracht hat. Er allein ist König, er allein ist Herr, ihm allein wollen wie dienen und ihn allein anbeten.
Jesus, du Herr meines Lebens, sei du allein mein Herr.

Liebe ohne Hass

Wenn die Welt euch hasst, dann wisst, dass sie mich schon vor euch gehasst hat. Wenn ihr von der Welt stammen würdet, würde die Welt euch als ihr Eigentum lieben. Aber weil ihr nicht von der Welt stammt, sondern weil ich euch aus der Welt erwählt habe, darum hasst euch die Welt. (Joh 15,18-19)

Jesus hat über die Gemeinschaft der Jünger gesprochen, ihre Einheit in der Liebe, über seine Freundschaft mit ihnen und die Gemeinschaft mit dem Vater. So in Einheit und Liebe verbunden, wird der jungen Kirche keine Macht der Welt Schaden zufügen können und diese Einheit in der Liebe gibt den Jüngern die Kraft, den Hass der Welt zu ertragen. Die Kirche hat zu allen Zeiten mit Anfeindungen zu rechnen, weil die Nachfolge Jesu immer auch eine klare Abgrenzung vom Mainstream der Gesellschaft bedeutet.
Aber woher rührt dieser Hass? Wenn Gott der Schöpfer der Welt ist und den Menschen in Liebe zugewandt, sollte man dann nicht meinen, dass es das erklärte Ziel der Menschheit sein müsste, diesen Gott auch zu lieben? Wir sehen aber, dass die Menschheit weit davon entfernt ist, Gott und seine Schöpfung zu lieben. Der Mensch beutet die Schöpfung aus, um sich selbst daran zu bereichern, er unterdrückt und tötet andere Menschen, um seine eigene Macht zu vergrößern und er erfindet immer neue Theorien, um zu erklären, dass es keinen Gott gibt, sondern er allein die Macht hat.
Nach dem blühenden Anfang in Galiläa musste auch Jesus die Erfahrung machen, dass bei vielen die Religion nur die Hülle für ihre eigene Selbstgefälligkeit ist. Jesus mag von seinen Worten und Taten her interessant sein, man kann davon für sein eigenes Leben vielleicht sogar etwas mitnehmen, aber das eigene Leben komplett zu ändern, um Jesus nachzufolgen, zu diesem Schritt sind nur ganz wenige bereit, damals wie heute.
Und so ein bisschen Jesus ist ja auch ganz ungefährlich. Er war ja durchaus ein weiser Mann. Jesus der tolle Hippie mit Sandalen, der allen den Frieden wünscht und so smart und lieb ist, dass man vielleicht sogar ein wenig mit ihm kuscheln möchte. Diese anderen Worte vom Gericht und die Warnung vor der Verdammnis, das haben doch nur irgendwelche unentspannten Kirchenleute Jesus später angedichtet. Gerade heute, wo unter dem Zeichen linker Politik immer mehr bewährte Regeln menschlichen Zusammenlebens über Bord geworfen werden und jeder tun und lassen kann was er will, ganz egal ob er damit anderen schadet oder nicht, fällt es uns schwer, an einen Jesus zu glauben, der klare Entscheidungen fordert und zu einer klaren Abgrenzung von der Welt auffordert.
Führen solche Überzeugungen nicht vielmehr zum Fanatismus und zerstören das friedliche Zusammenleben der Menschen in einer globalisierten Welt? Könnten die Menschen nicht viel friedlicher zusammenleben, wenn es keine unterschiedlichen Religionen gäbe? Diese Utopie ist gerade heute wieder weit verbreitet, aber man übersieht hier leicht, dass die Religion oft nur ein Mittel zum Zweck war, um Kriege zu legitimieren. Die Ursachen dafür liegen anderswo, meist im Machtstreben einzelner Menschen und ganzer Völker. Diese Machtgelüste wird die Abschaffung der Religionen nicht bändigen, sie werden vielmehr noch deutlicher und ungehinderter zum Vorschein kommen.
Jesus lehrt seine Jünger, sich für die Welt einzusetzen, nicht indem der Jünger Jesu alles gut heißt und unterstützt, was die Welt so treibt, sondern indem er in der Nachfolge Jesu zunächst sein eigenes Leben nach Jesus ausrichtet und das, was er selbst in der Nachfolge Jesu gelernt hat, deutlich in der Welt zeigt. Dabei handelt er aber immer aus Liebe. Die Jünger Jesu verurteilen andere nicht. Sie sagen deutlich ihre Meinung, aber so, dass sie auch denen, die sie offen anfeinden, noch ihre Liebe entgegenbringen.
Das unterscheidet Jüngerschaft von Fanatismus. Der Fanatiker will alle auf seine Seite ziehen, notfalls mit Gewalt. Er hasst alle, die nicht seinen eigenen Anschauungen folgen und damit hasst er letztlich alle Menschen. Wir müssen lernen, religiöse Überzeugung von Fanatismus zu unterscheiden. Fanatismus ist immer auch Hass, überzeugte Nachfolge Jesu ist immer Liebe, eine Liebe auch denen gegenüber, die voller Hass sind.
Jesus hat dafür ein Beispiel gegeben. Er blieb seiner Überzeugung treu, als die religiösen Führer der Juden ihn verhaftet und verhört haben. In dieser Standhaftigkeit hat er seine Größe gezeigt. Als er gemerkt hat, dass er mit seinen Worten nichts mehr ausrichten kann, hat er geschwiegen. Er hat nicht über seine Feinde gelästert, sondern hat sich in das gefügt, was sie ihm angetan haben. Er hat nicht zur Gewalt gegen seine Gegner aufgerufen, sondern hat für sie gebetet. Er ist auch für seine Feinde gestorben, in der Hoffnung, dass sich doch der eine oder andere noch für Gottes Liebe öffnet. Für diese Liebe, die frei ist von allem Hass, hat er bis zum Ende Zeugnis gegeben und zu diesem Zeugnis ruft Jesus seine Jünger auf bis heute.

Expedit

Abschied von den Jüngern

Es ist gut für euch, dass ich fortgehe. Denn wenn ich nicht fortgehe, wird der Beistand nicht zu euch kommen. Gehe ich aber, werde ich ihn zu euch senden. (Joh 16,7)

Es ist schwer für Jesu Jünger, das alles zusammen zu bringen, was in diesen Tagen geschieht. Da war die Hochstimmung beim Einzug nach Jerusalem. Sie haben feierlich Jesus als König ausgerufen und den Anbruch des Reiches Gottes erwartet - und manch einer wird sich ausgemalt haben, wie das sein wird, mit Jesus zu herrschen. Doch dann sagt Jesus ihnen immer deutlicher, dass sein Ende naht, dass Jerusalem nicht seine Königsstadt sein wird, sondern ihrem Untergang entgegensieht. Die Hartherzigkeit der religiösen Oberhäupter bedrückt Jesus und seine Jünger.
Im Kreis der Zwölf macht sich Unsicherheit breit. Jesus weiß, wie schwer diese Woche für seine Jünger ist. Er weiß, dass Judas ihn verraten und Petrus ihn verleugnen wird.

Euer Herz lasse sich nicht verwirren! (Joh 14,1)

Doch was hat das alles jetzt noch für einen Sinn, werden viele gedacht haben. Wenn das Reich Gottes jetzt nicht kommt, wann dann? Und wie soll es weitergehen, wenn die Obrigkeit Jesus ergreift und aus dem Weg räumt?
Wenn wir aus der Distanz von Jahrhunderten auf die Ereignisse der Heiligen Woche blicken, so schmerzt es uns auch zutiefst, was da geschehen ist, betend gehen wir Jesu Kreuzweg mit, aber wir wissen, dass alles gut ausgegangen ist, dass nach jedem Karfreitag ein Ostersonntag kommt. Die Jünger Jesu taten sich hier schwerer. Jesus hat ihnen das zwar vorhergesagt, aber erfahren haben sie es noch nicht.

Es ist gut für euch, dass ich fortgehe. (Joh 16,7)

Erst im Nachhinein werden die Jünger den Trost gespürt haben, der in diesen Worten liegt. Erst nach dem Pfingsttag wussten sie, was das für ein Beistand sein wird, den Jesus verheißt. Erst jetzt erfahren sie die Kraft, die ihnen gegeben ist und die sie zu Verkündern des Reiches Gottes macht. Nun erfährt Petrus, dass er der Fels ist, auf dem die Kirche Gottes entsteht und die anderen Apostel sind die Ecksteine, die den Bau zusammenhalten. Jesus ist fortgegangen, aber er bleibt lebendig in seiner Kirche gegenwärtig, damals ebenso wie heute.

In der Karwoche gedenken wir dem Leiden, Sterben und Auferstehen unseres Herrn. Dabei erinnern wir uns jedoch nicht einfach an geschichtliche Ereignisse, wir spielen nicht ein sinnloses Theaterstück nach, vielmehr erinnern wir uns an die Geschehnisse und denken über sie nach, damit wir selbst zum Werk Christi gehören können. Unser Herr gab sich seinem Vater hin. Er gab ihm seine Liebe, die er durch Gehorsam bezeugte und dieser Gehorsam ging bis zur Annahme des eigenen Todes. Gleichzeitig schritt er durch den Tod hindurch zum Leben, damit wir alle an seiner Auferstehung teilhaben können.

Basil Hume