Jahreskreis B

14. Sonntag

Erste Lesung

Ez 1,28-2,5

In jenen Tagen als ich die Erscheinung der Herrlichkeit des Herrn sah, fiel ich nieder auf mein Gesicht. Und ich hörte, wie jemand redete. Er sagte zu mir: Stell dich auf deine Füße, Menschensohn; ich will mit dir reden.
Als er das zu mir sagte, kam der Geist in mich und stellte mich auf die Füße. Und ich hörte den, der mit mir redete. Er sagte zu mir: Menschensohn, ich sende dich zu den abtrünnigen Söhnen Israels, die sich gegen mich aufgelehnt haben. Sie und ihre Väter sind immer wieder von mir abgefallen, bis zum heutigen Tag. Es sind Söhne mit trotzigem Gesicht und hartem Herzen. Zu ihnen sende ich dich. Du sollst zu ihnen sagen: So spricht Gott, der Herr. Ob sie dann hören oder nicht - denn sie sind ein widerspenstiges Volk -, sie werden erkennen müssen, dass mitten unter ihnen ein Prophet war.

Zweite Lesung

2Kor 12,7-10

Damit ich mich wegen der einzigartigen Offenbarungen nicht überhebe, wurde mir ein Stachel ins Fleisch gestoßen: ein Bote Satans, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe. Dreimal habe ich den Herrn angefleht, dass dieser Bote Satans von mir ablasse.
Er aber antwortete mir: Meine Gnade genügt dir; denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit. Viel lieber also will ich mich meiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi auf mich herabkommt.
Deswegen bejahe ich meine Ohnmacht, alle Misshandlungen und Nöte, Verfolgungen und Ängste, die ich für Christus ertrage; denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.

Evangelium

Mk 6,1b-6

Jesus kam in seine Heimatstadt; seine Jünger begleiteten ihn. Am Sabbat lehrte er in der Synagoge. Und die vielen Menschen, die ihm zuhörten, staunten und sagten: Woher hat er das alles? Was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist! Und was sind das für Wunder, die durch ihn geschehen! Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon? Leben nicht seine Schwestern hier unter uns? Und sie nahmen Anstoß an ihm und lehnten ihn ab.
Da sagte Jesus zu ihnen: Nirgends hat ein Prophet so wenig Ansehen wie in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in seiner Familie. Und er konnte dort kein Wunder tun; nur einigen Kranken legte er die Hände auf und heilte sie. Und er wunderte sich über ihren Unglauben. Jesus zog durch die benachbarten Dörfer und lehrte.
Perle

Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.

In diesen Worten des Apostels Paulus liegt ein Widerspruch, der die Leser stutzig machen und zum Nachdenken anregen soll. Der große Rahmen, in dem diese Worte stehen, sind Probleme in der Gemeinde von Korinth. Scheinbar sind dort alle möglichen Lehrer aufgetreten, von denen jeder von sich behauptet, wie toll er ist. Jeder hat schnell seine Fangemeinde um sich gesammelt und die eine Gemeinde Jesu Christi ist in viele Grüppchen zerfallen, die miteinander nichts zu tun haben wollen.
Menschen sehen gerne auf das Äußere. Zeig was du kannst. Viele lassen sich vom äußeren Schein beeindrucken und prüfen nicht, was dahinter steckt. Es gibt Menschen, die können sich groß machen, ohne wirklich groß zu sein. Paulus will kein solcher Blender sein. Ihm geht es nicht um seinen eigenen Ruhm, sondern um Jesus Christus. Er will die Menschen zur Begegnung mit Jesus führen, der ihnen Heil und Leben schenkt.
Paulus hat genug Qualitäten, deren er sich rühmen könnte. Wenn wir die Apostelgeschichte lesen, erfahren wir, welch große Taten er vollbracht hat und welche Kraft in ihm steckt. Aber er sagt deutlich: Diese Kraft kommt nicht aus mir selbst, diese Kraft schenkt mir Jesus.
Der Stachel im Fleisch, von dem Paulus spricht, ist zu einer sprichwörtlichen Redensart geworden. Vielleicht haben wir das, was Paulus meint, an uns selbst erfahren. Jeder hat seine besonderen Talente, aber jeder hat auch ein Handikap, eine Schwäche. Gott schenkt uns viel Gutes und nimmt auch viel Schweres von uns, aber diese eine Schwäche bleibt, sie gehört zu uns. Wir werden sie nur überwinden, wenn wir sie annehmen. Wenn wir diese eine Schwäche nicht annehmen, dann können wir daran zugrunde gehen, wenn wir sie aber annehmen, dann können wir daran wachsen, dann kann aus dieser Schwäche eine Kraft entstehen, die unserem ganzen Leben eine neue Dynamik schenkt.
Es ist wie mit einer Perle. Der Ursprung jeder Perle ist ein kleines, lästiges Stück Schmutz, oft ein Sandkorn, das in die Muschel hineinkommt und sie stört. Da sie es nicht mehr los werden kann, umgibt sie es mit Perlmut, und im Laufe der Zeit entsteht daraus eine wunderschöne Perle. Die Muschel hat an der Perle keinen Nutzen, aber wer sie findet, der freut sich an deren Glanz.
So wird auch der Stachel im Fleisch des Paulus für andere nützlich. Seine Schwäche hat er verwandelt in eine Stärke. Der Perlglanz über dem Stachel kommt nicht von ihm, sondern wurde ihm ganz von Christus geschenkt. So will Gott auch unsere Schwächen und dunklen Seiten mit dem Glanz seiner Gnade umgeben und so zum Leuchten bringen.

Ezechiel

Ezechiel (Namensform nach Luther: Hesekiel) gehört zu den großen Propheten des Alten Testaments. Sein Name bedeutet "Gott möge kräftigen". Er stammte aus einer priesterlichen Familie und war selbst Priester. Er gehörte zu den Israeliten, die im Jahr 597 zusammen mit König Jojachin von Nebukadnezzar in die Verbannung nach Babylon geführt wurden.
Unter König Nebukadnezzar hatten die Neubabylonier im Jahr 605 nach der Schlacht von Karkemisch die Vorherrschaft über Syrien und Palästina errungen. Auch das Königreich Juda stand nun unter der Herrschaft der Neubabylonier. Jedoch kündigte der judäische König Jojakim (609-598) um das Jahr 601 das Vasallenverhältnis auf. Das führte 598/7 zu einem Gegenschlag Nebukadnezzars. Unter Jojachin, der 597 nach dem Tod seines Vaters König von Juda wurde, kapitulierte Jerusalem. Jojachin wurde zusammen mit der königlichen Familie und einem Teil der Oberschicht ins Exil nach Babylon geführt.
Juda bestand als Vasallenstaat fort und Zidkija (597-586), ein Neffe Jojachins, wurde von Nebukadnezzar als neuer König eingesetzt. Trotz der Warnung des Propheten Jeremia lehnte sich Zidkija jedoch erneut gegen Nebukadnezzar auf. Dies führte zu einem weiteren Feldzug gegen Juda und schließlich zur Eroberung und Zerstörung Jerusalems im Jahr 586. Erneut wurde die Oberschicht und mit ihr auch ein Großteil der Bevölkerung Judas und Jerusalems ins Exil nach Babylon geführt.
Die Zerstörung Jerusalems hatte einen bedeutenden Einfluss auf die Prophetie Ezechiels. Er hat stets darauf hingewiesen, dass die Verbannten in Babylon sich nicht einer naiven Heilssicherheit und Hoffnung auf baldige Rückkehr hingeben sollen. Es gab viele falsche Propheten, die dem Volk solches einredeten. Doch Ezechiel kündigte die bevorstehende Zerstörung Jerusalems an, teils mit sehr eindringlichen Symbolhandlungen, die ihn selbst bis ins tiefste ergriffen haben. Als Jerusalem dann aber zerstört war, änderte sich seine Weissagung. Nun macht er den Menschen klar: Gott ist bei seinem Volk, er erwartet Umkehr, und wird dann neues Heil und die Rückkehr nach Jerusalem schenken.

Ezechiel

Das Buch Ezechiel gibt uns eine genaue Datierung der Berufung des Propheten:

Am fünften Tag des vierten Monats im dreißigsten Jahr, als ich unter den Verschleppten am Fluss Kebar lebte, öffnete sich der Himmel und ich sah eine Erscheinung Gottes. Am fünften Tag des Monats - es war im fünften Jahr nach der Verschleppung des Königs Jojachin - erging das Wort des Herrn an Ezechiel, den Sohn Busis, den Priester, im Land der Chaldäer, am Fluss Kebar. Dort kam die Hand des Herrn über ihn. (Ez 1,1-3)

Wenn wir die Angaben mit den oben genannten Daten abgleichen, ergibt sich das Jahr 592 als Beginn des prophetischen Wirkens Ezechiels. Wie es heißt, war er in diesem Jahr dreißig Jahre alt, hatte also das Alter erreicht, in dem Priester ihren Dienst antreten durften. Kebar ist ein Seitenfluss des Euphrat, der durch Babylon fließt. Seine Berufung wird dreifach charakterisiert: der Himmel öffnet sich für Ezechiel und er sieht eine Erscheinung Gottes, das Wort des Herrn erging an ihn und die Hand des Herrn kam über ihn. Das, wovon Ezechiel künden soll, erfährt er durch Schauen und durch Worte und ihn zeichnet eine besondere Nähe zu Gott aus.
Es folgt die ausführliche Schilderung der Erscheinung Gottes auf einem himmlischen Thronwagen (Ez 1,4-28). Das, was Ezechiel hier in Worte zu fassen versucht, übersteigt unsere Vorstellungskraft. Doch zunächst einmal macht diese Erscheinung deutlich: Gott ist überall bei seinem Volk, er ist nicht nur im Tempel in Jerusalem gegenwärtig, sondern auch im fernen Babylon. Vielleicht war das der größte Trost für die Israeliten, die sich plötzlich fern ihrer Heimat und ihres Tempels wiederfanden. Gott lässt sie nicht im Stich. Er redet zu ihnen durch einen Propheten, der Gottes Gegenwart erfährt.
Zugleich symbolisiert die Vision die Macht Gottes. Gott erscheint in Sturmwind und Feuer, umgeben von vier außergewöhnlichen Lebewesen, die Engeln und Menschen gleichen, auf einem Thronwagen mit riesigen Rädern aus Diamant. Gottes Antlitz ist in einem gleißend hellen Feuerschein verborgen. Gottes Gegenwart ist nicht an den Tempel in Jerusalem gebunden, wie viele damals glaubten. für sie war der Tempel der Ort, in dem Gottes Herrlichkeit wohnt. Nun aber sieht Ezechiel Gott auf einem wunderbaren Wagen kommen, Gott ist "mobil" könnte man salopp sagen. Er hat seine Macht durch die Eroberung Jerusalems nicht verloren, sondern kann an allen Orten der Welt seine Macht zeigen.
Vor einer solchen Erscheinung kann der Mensch nur staunend und anbetend zu Boden knien. Letztlich betont auch der Begriff „Menschensohn“, mit dem Ezechiel angeredet wird, den himmelweiten Unterschied, der zwischen Gottes Größe und dem Dasein des Menschen besteht. So tut Ezechiel das einzige, was der Größe Gottes angemessen ist:

Ich fiel ich nieder auf mein Gesicht. Und ich hörte, wie jemand redete. (Ez 1,28)

Doch Gott will den Menschen nicht mit seiner Größe erdrücken, sondern er will ihn aufrichten. Gott ist es, der den Menschen erhebt.

Und er sagte zu mir: Stell dich auf deine Füße, Menschensohn, ich will mit dir reden. (Ez 2,1)

Erst als Ezechiel aufsteht, fährt Gott fort:

Menschensohn, ich sende dich zu den abtrünnigen Söhnen Israels, die sich gegen mich aufgelehnt haben. Sie und ihre Väter sind immer wieder von mir abgefallen, bis zum heutigen Tag. Es sind Söhne mit trotzigem Gesicht und hartem Herzen. Zu ihnen sende ich dich. Du sollst zu ihnen sagen: So spricht Gott, der Herr. Ob sie dann hören oder nicht - denn sie sind ein widerspenstiges Volk -, sie werden erkennen müssen, dass mitten unter ihnen ein Prophet war. (Ez 2,2-5)

Von nun an übt Ezechiel unter den Verbannten Israeliten in Babylon das Amt des Propheten aus. Es ist ein schweres Amt, das mit einer großen Verantwortung verbunden ist. Ezechiel kann sich nicht auf das verlassen, was er bisher gelernt hat. Gottes Wort ist so ganz anders, als die Erwartung der Menschen. Schon immer haben fromme Menschen versucht, Gott in ein Schema zu pressen, das ihnen angenehm ist. Doch Gott lässt sich vom Menschen nicht manipulieren und für die Interessen einzelner Gruppen einnehmen. Der Prophet muss Gottes Wort verkünden, das teilweise auch dem Denken frommer Menschen widerspricht. Gott fordert den Propheten ganz, Leben und Botschaft des Propheten werden eins. Und er muss reden, sonst macht er sich selbst schuldig. Er muss den Spott und die Widerworte seiner Zeitgenossen ertragen. Er muss reden, auch wenn er selbst manchmal das Unfassbare, das er von Gott zu hören bekommt, nicht verstehen kann.
Gottes Wort ist auch heute noch wirkmächtig. Es verkündet eine Wahrheit, die dem Denken vieler Menschen zuwiderläuft. Doch wenn wir Gottes Wort lauschen, es ganz in uns aufnehmen, uns von ihm ergreifen und verwandeln lassen, dann sehen wir die Welt mit ganz neuen Augen und können verstehen, was hinter den Dingen steht. Doch dafür müssen wir uns befreien von unseren gewohnten Denkweisen und angelernten Verhaltensmustern. Nur wenn wir ganz neu lernen zu sehen und zu hören kann uns Gottes Wort mit all seiner Kraft ergreifen.

Nazaret

Jesus wunderte sich über ihren Unglauben

Jesus kommt in seine Heimatstadt. Markus erwähnt hier deren Namen nicht, hat aber in 1,9 dem Leser bereits mitgeteilt, dass Jesus aus Nazaret stammt. "Aus Nazaret? Kann von dort etwas Gutes kommen?" An diese Frage des Natanael aus dem Johannesevangelium (Joh 1,46) werden wir uns vielleicht beim heutigen Evangelium erinnern.
Zur Zeit Jesu war Nazaret ein unbedeutendes Dorf, seine Bewohner hausten in Kalksteinhöhlen oder wohnten in schlichten, aus Kalkstein erbauten, einstöckigen Häusern. Ein öder Ort, der nichts Sehenswertes zu bieten hatte. Die Menschen dort dürften recht engstirnig gewesen sein.
Jesus wird in seinem Heimatort nicht als "großer Sohn unserer Stadt" gefeiert. Sicher, die Leute wissen, was aus diesem Jesus geworden ist, der vor kurzem noch als Zimmermann den Beruf seines Vaters im Ort fortgeführt hat. Sie haben gehört, wie überall die Massen zu ihm hinströmen. Jetzt sind sie neugierig und wollen hören, was Jesus zu sagen hat.
Als Jesus zu ihnen spricht, sind sie erst einmal erstaunt über seine Worte, doch dann beginnen sie zu zweifeln. Sie glauben nicht daran, dass dieser Jesus, der in ihrer Mitte aufgewachsen ist, der Messias sein soll. Für sie ist er nur ein Handwerker, der seinen Beruf an den Nagel gehängt hat, und es vorzieht, müßig durch die Gegend zu ziehen. Sie kennen seine Verwandten. Auch das sind keine großen Leute. Rein irdisch gesehen hat Jesus keine vornehme Herkunft vorzuweisen, die ihn zu Höherem prädestiniert hätte in den Augen der Menschen.
Die Leute aus Nazaret zeigen Jesus offen ihre Ablehnung. Wegen ihres Unglaubens kann dort nicht das geschehen, was an anderen Orten geschieht, wo alle Kranken zu Jesus kommen und Heilung finden. Die Bewohner Nazarets bleiben in ihrer Trostlosigkeit gefangen. Nur ein paar vereinzelte Kranke kommen zu Jesus und werden geheilt.
Jesus ist verwundert über ihren Unglauben. Er wundert sich darüber, dass die Menschen lieber in ihrer trostlosen Dunkelheit bleiben wollen, als die lichtvolle Freude des Reiches Gottes zu kosten. Sicher hat Jesus die Ablehnung durch die ihm vertrauten Menschen auch verletzt. Schließlich haben sie ja verächtlich über seine Mutter und seine Verwandten geredet. Jesus war ganz Mensch und deshalb wird ihn dies nicht unberührt gelassen haben. Doch Jesus macht weiter. Er zieht in die anderen Dörfer der Gegend und lehrt dort.
Jesus hat die Ablehnung in seiner Heimat wohl geschmerzt, nicht aber an sich zweifeln lassen. Nie macht Jesus sein Selbstwertgefühl von Lob oder Tadel, Annahme oder Ablehnung anderer abhängig. Jesus weiß um seine Sendung. Er weiß, dass sein Wort den Menschen das Heil bringt. Wenn Jesus traurig ist, dann darüber, dass die Menschen dieses Heil nicht annehmen wollen und so letztlich sich selbst schaden.

Jesus war wirklich frei. Seine Freiheit wurzelte in seiner spirituellen Erfahrung, Gottes geliebtes Kind zu sein. Er wusste in der Tiefe seines Wesens, dass er schon vor seiner Geburt zu Gott gehört hatte; dass er in die Welt gesandt war, um Gottes Liebe zu verkünden; und dass er nach der Erfüllung seiner Sendung zu Gott zurückkehren würde.
Dieses Wissen schenkte ihm die Freiheit, reden und handeln zu können, ohne der Welt gefallen zu müssen, sowie die Kraft, mit der heilenden Liebe Gottes auf alles eingehen zu können, worunter die Menschen litten.

(Henri Nouwen)

Bitten auch wir Gott darum, dass wir nie aus den Augen verlieren, wie groß Gott uns gemacht hat. Wir sind Töchter und Söhne Gottes und in sein himmlisches Reich berufen. Nicht Lob und Tadel der Menschen sollen uns bestimmen, sondern allein das Streben danach, uns als Bewohner des himmlischen Reiches würdig zu erweisen.