
Das Hohelied der Liebe - 1 Kor 12,31-13,13
Strebt nach den höheren Gnadengaben!
Das Hohelied der Liebe, das Paulus im 13. Kapitel des Ersten Korintherbriefes formuliert, ist zu einem Stück Weltliteratur geworden. Als solches hat es auch eine eigene Wirkungsgeschichte entfaltet. Bei Hochzeiten, Trauerfällen und anderen wichtigen Anlässen wird es gerne zitiert. Das ist alles schön und gut, aber wir sollten uns auch fragen, worum es Paulus in diesem Abschnitt seines Briefes eigentlich geht. Er hat sicher nicht die romantische Liebe im Blick und was die Verstorbenen betrifft, so wird er dieses Thema ausführlich im 15. Kapitel behandeln.
Das Hohelied ist eingebettet in einer Darlegung über die verschiedenen Gnadengaben. Die Gemeinde von Korinth setzt sich, wie jede andere Gemeinde auch, aus Menschen verschiedenster Couleur zusammen. Reiche und Arme, Angesehene und weniger Angesehene, Begabte und weniger Begabte finden sich zusammen und es gibt natürlich genügend Leute dort, die den anderen zeigen wollen, wie toll sie sind und es gibt viele, die den Ton angeben möchten.
Immer wieder mahnt Paulus die Gemeinde zur Einigkeit. Es soll den Christen vor allem darum gehen, dass es nicht zu Spaltungen kommt, weil einzelne Wortführer miteinander im Streit liegen und jeder seine eigenen Anhänger um sich scharen möchte. Jesus Christus muss die Mitte der Gemeinde sein, er ist der alleinige Herr, alle anderen sollen sich als Diener betrachten.
Paulus will den Korinthern deutlich machen, dass die Gemeinde wie ein Leib aus vielen Gliedern besteht. Und wie im Leib jedes Glied seine Funktion hat und der gesamte Leib aller Glieder bedarf - der Bedeutenden ebenso wie der weniger Bedeutsamen - so ist es auch in der Gemeinde. Sie kann nicht nur aus großen Propheten bestehen. Der stille Beter ist genauso wichtig. Jedes Mitglied der Gemeinde hat seine ihm eigene wichtige Funktion, auch wenn diese noch so unscheinbar ist.

Ich zeige euch noch einen erhabeneren Weg!
Die Gemeinde in Korinth ist reich an Gaben und auch stolz darauf. Prophetie, Zungenrede, Glaube, der Wunder wirkt, Dienst an den Armen, all das ist in Korinth lebendig. Doch all diese Gaben bereichern nicht nur das Gemeindeleben, sondern haben wohl auch zu mancher Verwirrung und zu Streitigkeiten geführt. Paulus will die Gnadengaben der Korinther in keinster Weise abwerten. Daher ermahnt er sie auch nicht durch Tadel, sondern er will sie vielmehr zu Höherem anspornen, indem er ihnen einen erhabeneren Weg zeigt, einen Weg, der nicht nur zu dieser oder jener Gnadengabe führt, sondern der sie alle übertrifft.
"Erst, nachdem Paulus das Verlangen der Leser geweckt hat, erklärt er sich weiter und lehrt, dass die Geistesgaben ohne die Liebe nichts nützen. Er zeigt somit die Notwendigkeit, einander zu lieben, weil der Mangel an Liebe die Ursache aller Übel ist. Ja, schon darum muss die Liebe als etwas Großes erscheinen, da die Gnadengaben die Korinther nicht versöhnten und einten, sondern die Einträchtigen zu Spaltungen führten, die Liebe hingegen Versöhnung und Eintracht unter diejenigen bringt, die durch die Gnadengaben entzweit worden waren. Allein das sagt er nicht gleich, sondern spricht zuerst das aus, worauf sie am meisten gespannt waren, dass nämlich die Sache selbst ein Charisma sei, und ein vortrefflicher Weg zu allen Charismen." (Johannes Chrysostomus)
Therese von Lisieux hat ihre ganz eigene Deutung dieser Stelle gefunden. Als Karmelitin war sie Braut des Herrn und durch ihr Gebet Mutter der Seelen. Doch das genügte ihr nicht, sie verspürte in sich die Sehnsucht, Jesus in jeder möglichen Weise zu dienen.
"Ich fühle in mir noch andere Berufungen, zum Krieger, zum Priester, zum Apostel, zum Kirchenlehrer, zum Märtyrer, ... ich spüre in meiner Seele den Mut eines Kreuzfahrers, eines päpstlichen Soldaten. ...
Ich fand Trost in dem Satz: Strebt nach den vollkommensten Gaben, aber ich will euch einen noch vorzüglicheren Weg zeigen. - Und der Apostel erklärt, wie die vollkommensten Gaben nichts sind ohne die Liebe, ... dass die Liebe der vortrefflichste Weg ist, der mit Sicherheit zu Gott führt.
Endlich hatte ich Ruhe gefunden. ... Die Liebe gab mir den Schlüssel meiner Berufung. Ich begriff, dass wenn die Kirche einen aus verschiedenen Gliedern bestehenden Leib hat, ihr auch das notwendigste, das edelste von allem nicht fehlt. Ich begriff, dass die Kirche ein Herz hat, und dass dieses Herz von Liebe brennt.
Ich erkannte, dass die Liebe allein die Glieder der Kirche in Tätigkeit setzt, und würde die Liebe erlöschen, so würden die Apostel das Evangelium nicht mehr verkünden, die Märtyrer sich weigern, ihr Blut zu vergießen. ...
Ich begriff, dass die Liebe alle Berufungen in sich schließt, dass die Liebe alles ist, dass sie alle Zeiten und alle Orte umspannt, ... mit einem Wort, dass sie ewig ist!
Da rief ich im Übermaß meiner überschäumenden Freude: O Jesus, meine Liebe, ... endlich habe ich meine Berufung gefunden, meine Berufung ist die Liebe!
Ja, ich habe meinen Platz in der Kirche gefunden, und diesen Platz, mein Gott, den hast du mir geschenkt ... im Herzen der Kirche, meiner Mutter, werde ich die Liebe sein ... so werde ich alles sein!"

Bote der Freude
Letzten Sonntag haben wir gehört, wie Jesus in Nazaret den Menschen sein "Programm" vorgestellt hat. "Er bringt den Armen eine gute Nachricht." Diese Worte, die der Prophet Jesaja über den Messias sagt, setzt der Evangelist Lukas als Überschrift über das Wirken Jesu. Nicht nur in Worten, sondern auch in Taten wird in Jesus Christus die liebende Nähe Gottes zu den Menschen sichtbar. "Heute hat sich dieses Schriftwort erfüllt." So legt Jesus selbst diese Stelle aus und macht damit deutlich, dass er mit dem Anspruch auftritt, der Messias, der Sohn Gottes zu sein.
Doch die "gute Nachricht" ist keine populistisch aufgemachte reißerische Rede. Sie zielt nicht darauf ab, die Menschen mit rhetorischen Mitteln und die Rede begleitende Wundertaten zu täuschen. Es scheint so, als ob Jesus, nachdem er die Menschen begeistert hat, genau das Gegenteil von dem sagen würde, was die Menschen hören wollen, bis er die große Masse der Menschen gegen sich aufgebracht hat und nur wenige bleiben, die wirklich verstanden haben, was er will.
In Nazaret macht Jesus den Menschen klar, dass sie sich nichts darauf einzubilden haben, dass Jesus aus ihrer Stadt kommt. Er führt das Beispiel der großen Propheten Elija und Elischa an, die beide ein großes Wunder gerade an Fremden gewirkt haben. Wie könnte er die Menschen mehr beleidigen, als durch einen solchen Vergleich? Entsprechend heftig ist auch ihre Reaktion: Sie treiben Jesus zur Stadt hinaus und wollen ihn einen Abhang hinunter in den Tod stürzen. Jesus aber "schritt mitten durch die Menge hindurch und ging weg."
Die gute Nachricht für die Menschen ist nicht billig verpackt. Sie zeigt sich nicht in aufsehenerregenden Wundern und erschließt sich nicht der großen Masse. Nur wer bereit ist, ruhig und sorgfältig hinzuhören, wer sich für die Botschaft Gottes öffnet, sich auf sie einlässt und bereit ist, sein Leben zu ändern, der wird die Freude erfahren, von der diese gute Nachricht kündet.