Jahreskreis C

11. Sonntag

Erste Lesung

2Sam 12,7-10.13

In jenen Tagen sagte der Prophet Natan zu David: So spricht der Herr, der Gott Israels: Ich habe dich zum König von Israel gesalbt, und ich habe dich aus der Hand Sauls gerettet. Ich habe dir das Haus deines Herrn und die Frauen deines Herrn in den Schoß gegeben, und ich habe dir das Haus Israel und Juda gegeben, und wenn das zu wenig ist, gebe ich dir noch manches andere dazu. Aber warum hast du das Wort des Herrn verachtet und etwas getan, was ihm missfällt? Du hast den Hetiter Urija mit dem Schwert erschlagen und hast dir seine Frau zur Frau genommen; durch das Schwert der Ammoniter hast du ihn umgebracht. Darum soll jetzt das Schwert auf ewig nicht mehr von deinem Haus weichen; denn du hast mich verachtet und dir die Frau des Hetiters genommen, damit sie deine Frau werde.
Darauf sagte David zu Natan: Ich habe gegen den Herrn gesündigt. Natan antwortete David: Der Herr hat dir deine Sünde vergeben; du wirst nicht sterben.

Zweite Lesung

Gal 2,16.19-21

Wir haben erkannt, dass der Mensch nicht durch Werke des Gesetzes gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir dazu gekommen, an Christus Jesus zu glauben, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus, und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch Werke des Gesetzes wird niemand gerecht. Ich aber bin durch das Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich für Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt worden; nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. So weit ich aber jetzt noch in dieser Welt lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat. Ich missachte die Gnade Gottes in keiner Weise; denn käme die Gerechtigkeit durch das Gesetz, so wäre Christus vergeblich gestorben.

Evangelium

Lk 7,36-8,3

In jener Zeit ging Jesus in das Haus eines Pharisäers, der ihn zum Essen eingeladen hatte, und legte sich zu Tisch. Als nun eine Sünderin, die in der Stadt lebte, erfuhr, dass er im Haus des Pharisäers bei Tisch war, kam sie mit einem Alabastergefäß voll wohlriechendem Öl und trat von hinten an ihn heran. Dabei weinte sie, und ihre Tränen fielen auf seine Füße. Sie trocknete seine Füße mit ihrem Haar, küsste sie und salbte sie mit dem Öl. Als der Pharisäer, der ihn eingeladen hatte, das sah, dachte er: Wenn er wirklich ein Prophet wäre, müsste er wissen, was das für eine Frau ist, von der er sich berühren lässt; er wüsste, dass sie eine Sünderin ist.
Da wandte sich Jesus an ihn und sagte: Simon, ich möchte dir etwas sagen. Er erwiderte: Sprich, Meister!
Jesus sagte: Ein Geldverleiher hatte zwei Schuldner; der eine war ihm fünfhundert Denare schuldig, der andere fünfzig. Als sie ihre Schulden nicht bezahlen konnten, erließ er sie beiden. Wer von ihnen wird ihn nun mehr lieben?
Simon antwortete: Ich nehme an, der, dem er mehr erlassen hat. Jesus sagte zu ihm: Du hast Recht.
Dann wandte er sich der Frau zu und sagte zu Simon: Siehst du diese Frau? Als ich in dein Haus kam, hast du mir kein Wasser zum Waschen der Füße gegeben; sie aber hat ihre Tränen über meinen Füßen vergossen und sie mit ihrem Haar abgetrocknet. Du hast mir zur Begrüßung keinen Kuss gegeben; sie aber hat mir, seit ich hier bin, unaufhörlich die Füße geküsst. Du hast mir nicht das Haar mit Öl gesalbt; sie aber hat mir mit ihrem wohlriechenden Öl die Füße gesalbt. Deshalb sage ich dir: Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie mir so viel Liebe gezeigt hat. Wem aber nur wenig vergeben wird, der zeigt auch nur wenig Liebe. Dann sagte er zu ihr: Deine Sünden sind dir vergeben.
Da dachten die anderen Gäste: Wer ist das, dass er sogar Sünden vergibt?
Er aber sagte zu der Frau: Dein Glaube hat dir geholfen. Geh in Frieden!
In der folgenden Zeit wanderte er von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf und verkündete das Evangelium vom Reich Gottes. Die Zwölf begleiteten ihn, außerdem einige Frauen, die er von bösen Geistern und von Krankheiten geheilt hatte: Maria Magdalene, aus der sieben Dämonen ausgefahren waren, Johanna, die Frau des Chuzas, eines Beamten des Herodes, Susanna und viele andere. Sie alle unterstützten Jesus und die Jünger mit dem, was sie besaßen.
Magdalena

Liebe und Vergebung - Die Begegnung Jesu mit der Sünderin

In jener Zeit ging Jesus in das Haus eines Pharisäers, der ihn zum Essen eingeladen hatte, und legte sich zu Tisch. Als nun eine Sünderin, die in der Stadt lebte, erfuhr, dass er im Haus des Pharisäers bei Tisch war, kam sie mit einem Alabastergefäß voll wohlriechendem Öl. (Lk 7,36-37)

Jesus ist zum Essen eingeladen bei einem Pharisäer. Wahrscheinlich möchte dieser gerne mit Jesus diskutieren, ihn prüfen, seine Meinung hören über die Auslegung des Gesetzes und darüber, wie der Mensch Gott dienen soll. Lukas berichtet nichts darüber. Es kommt auch nicht zu einem gelehrten Gespräch, sondern der Pharisäer bekommt lebendig die Antwort auf die Fragen, die er im Herzen hat, vorgeführt. Jesus geht es nie darum, gescheite Reden zu führen, an deren Ende dann eine wohlformulierte Absichtserklärung steht oder ein unpersönliches "man sollte tun". Jesus handelt immer konkret.
Während der Pharisäer sich wohl ein ruhiges Essen mit Jesus erhofft hat, bei dem er selbst der Wortführer ist, kommt nun alles ganz anders, denn plötzlich steht da eine stadtbekannte Sünderin mitten im Zimmer. Wie ist sie da hereingekommen, wer hat sie eingelassen? Hat sie den Türsteher mit ihrem entschiedenen Auftreten überrumpelt? Wir wissen es nicht. Für den heiligen Ambrosius aber wird sie durch ihre entschlossene Suche nach Jesus zum Vorbild für uns alle:

Wo immer du von der Ankunft des Gerechten hörst, sei es im Haus eines Unwürdigen, sei es im Haus eines Pharisäers, eile hin, entreiße ihm, dem Gastgeber zuvorkommend, die Gnade, entreiß ihm das Himmelreich! ... Wo immer du Christi Namen hörst, lauf hin! Von wessen Haus immer du vernimmst, es sei Jesus in dessen Inneres eingetreten, beschleunige auch du deine Schritte dorthin! Wenn du von der Weisheit erfährst, wenn du von der Gerechtigkeit erfährst, sie liege in den Gemächern eines Menschen zu Tisch, lauf hin!

Wer diese eindringlichen Worte des Ambrosius hört, der weiß, worum es geht: um die Rettung, um das Heil. Hier schickt es sich nicht zu warten und mit falscher Demut anderen den Vortritt zu lassen, sondern hier soll jeder zusehen, der erste zu sein. Aber keine Angst. Es ist genug Heil für alle da. Jeder, der mit einem solchen Eifer zu Jesus drängt, wird die Erfahrung der lebendig machenden Begegnung mit dem Herrn zuteil.

Sie trat von hinten an Jesus heran. Dabei weinte sie, und ihre Tränen fielen auf seine Füße. Sie trocknete seine Füße mit ihrem Haar, küsste sie und salbte sie mit dem Öl. Als der Pharisäer, der ihn eingeladen hatte, das sah, dachte er: Wenn er wirklich ein Prophet wäre, müsste er wissen, was das für eine Frau ist, von der er sich berühren lässt; er wüsste, dass sie eine Sünderin ist. (Lk 7,38-39)

Die Frau durchbricht die familiäre Atmosphäre des Gastmahls. Ungebeten hat sie sich eingeschlichen, von hinten tritt sie an Jesus heran, kniet zu seinen Füßen und wäscht mit liebender Hingabe die Füße des Herrn mit ihren Tränen, trocknet sie mit ihrem Haar und salbt sie mit wohlriechendem Öl. Die Frau ist eine stadtbekannte Sünderin. Das weiß Jesus und trotzdem oder gerade deshalb lässt er sie gewähren.

Sie zurückzuweisen, hätte bedeutet, sie in ihrem alten Leben zu lassen, das eigentlich kein Leben war. Doch indem er sie gewähren lässt, zeigt er ihr besser als mir tausend Worten, dass er das, was sie geben kann, annimmt. Er will nichts für sich; er nimmt sie, wie sie ist, einfach deshalb, weil sie vor allem ein großes Verlangen hat, sich geliebt zu wissen: wirklich geliebt, endlich wertgeschätzt und respektiert. Er urteilt nicht über sie. Er verurteilt sie nicht. Und so hilft er ihr, zu einem authentischen menschlichen Leben zu finden: Sie fühlt sich wie neu geboren. (Raniero Cantalamessa)

Der Pharisäer sagt nichts dazu, er denkt sich aber seinen Teil. Seine Gedanken gleichen den Gedanken aller gesetzestreuen Menschen zu allen Zeiten: So etwas gehört sich nicht! Wie kann ein Mann Gottes sich so auf eine Sünderin einlassen und sich sogar von ihr berühren lassen? Er stellt Jesu Sendung grundlegend in Frage, denn wenn Jesus ein Prophet wäre, wüsste er, was hier geschieht, er scheint aber nicht zu wissen, dass diese Frau eine Sünderin ist, also kann er kein Prophet sein.
Jesus aber macht deutlich, dass der eigentliche Fehler nicht bei ihm liegt, sondern in der scheinbar logischen Argumentationskette des Pharisäers. Er rückt die Angelegenheit ins rechte Licht und führt dem Pharisäer die schockierende Tatsache vor Augen, dass er mit all seiner Frömmigkeit nicht besser dasteht als diese Frau, im Gegenteil. Die Frau erweist sich durch das, was sie an Jesus tut, als gerecht, der Pharisäer aber bleibt in seinen Sünden, weil er nicht bereit ist, die Vergebung als Geschenk Gottes anzunehmen.

Da wandte sich Jesus an ihn und sagte: Simon, ich möchte dir etwas sagen. Er erwiderte: Sprich, Meister! Jesus sagte: Ein Geldverleiher hatte zwei Schuldner; der eine war ihm fünfhundert Denare schuldig, der andere fünfzig. Als sie ihre Schulden nicht bezahlen konnten, erließ er sie beiden. Wer von ihnen wird ihn nun mehr lieben? Simon antwortete: Ich nehme an, der, dem er mehr erlassen hat. Jesus sagte zu ihm: Du hast Recht. (Lk 7,40-43)

Jesus wendet sich nun dem Pharisäer zu, der bisher geschwiegen hat. Jesus ergreift das Wort, liebevoll spricht er seinen Gastgeber mit Namen an: Simon. Jesus erzählt ihm ein Gleichnis. Zwei Männer haben Schulden, einer sagen wir mal etwa fünftausend Euro, der andere fünfzigtausend. Beiden wird die Schuld erlassen. Der Pharisäer versteht. Jeder ist schuldig vor Gott, kein Mensch kann sagen, dass er vor Gott gerecht ist. Das wussten auch die Pharisäer. Bei all ihrer Gesetzestreue war ihnen doch klar, dass sie es nie schaffen werden, alle Gebote vollkommen zu erfüllen.
Auch wenn nun also der Pharisäer Simon von seiner Gerechtigkeit überzeugt ist, so weiß er doch um seine eigenen Sünden und Fehler. Auch er steht bei Gott in der Schuld und hofft darauf, dass Gott ihm diese erlassen wird. Aber er hat dabei eine andere Methode als die Frau. Simon denkt vielleicht, dass er, wenn vor Gott hintritt, zumindest all das aufzählen kann, was er an guten Werken des Gesetzes getan hat, dann, so mag er sich sagen, wird Gott vielleicht über die kleinen Fehler hinwegsehen. Aber Gott will nicht mit uns handeln, er will uns beschenken.

Eben darum, weil es keine würdige Wiedervergeltung gibt, die wir Gott leisten könnten - was wollten wir denn als Entgelt bieten für das Leiden seiner Menschheit, die er angenommen hat? Was für seine Geißelung? Was für sein Kreuz, seinen Tod, sein Begräbnis? - so wehe mir, wenn ich nicht liebe! ... So lasst uns denn statt der Schuld Liebe, statt der Zahlung Hingebung, statt des Geldes Dank erstatten! Denn am meisten liebt, wem am meisten geschenkt wird. (Ambrosius)

Jesus will Simon nicht brüskieren. Er wendet sich seinem Gastgeber zuerst zu, richtet zuerst das Wort an ihn, dann erst wendet er sich der Frau zu. Simon hat wohl verstanden, was Jesus ihm sagen will, aber er ist in sich selbst gefangen. Er kann nicht wie die Frau authentisch vor Jesus hintreten. Wir wissen nicht, wie es mit Simon weiter gegangen ist. Es bleibt offen, ob er Jesu Worte annehmen konnte, oder nicht.

Vergebung
Dann wandte er sich der Frau zu und sagte zu Simon: Siehst du diese Frau? Als ich in dein Haus kam, hast du mir kein Wasser zum Waschen der Füße gegeben; sie aber hat ihre Tränen über meinen Füßen vergossen und sie mit ihrem Haar abgetrocknet. Du hast mir zur Begrüßung keinen Kuss gegeben; sie aber hat mir, seit ich hier bin, unaufhörlich die Füße geküsst. Du hast mir nicht das Haar mit Öl gesalbt; sie aber hat mir mit ihrem wohlriechenden Öl die Füße gesalbt. Deshalb sage ich dir: Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie mir so viel Liebe gezeigt hat. Wem aber nur wenig vergeben wird, der zeigt auch nur wenig Liebe. Dann sagte er zu ihr: Deine Sünden sind dir vergeben. Da dachten die anderen Gäste: Wer ist das, dass er sogar Sünden vergibt? Er aber sagte zu der Frau: Dein Glaube hat dir geholfen. Geh in Frieden! (Lk 7,44-50)

In den erklärenden Ausführungen Jesu tritt eine gewisse Diskrepanz zu dem Gleichnis zutage. Während im Gleichnis beiden Schuldnern einfach so die Schuld erlassen wird und die größere Liebe des einen die Folge davon ist, dass ihm mehr erlassen wurde, so spricht Jesus nun davon, dass der Sünderin mehr vergeben wird, weil sie mehr Liebe gezeigt hat. Jesus macht so das mit Worten unerklärbare Ineinander von Gottes Vergebung und unserem Tun deutlich. Gott will uns beschenken, ohne dass wir dafür etwas tun müssen, aber doch bedarf es unserer Disposition dazu, beschenkt zu werden.
Es ist stets die Liebe, an der wir gemessen werden. Wer selbst nicht liebt, kann auch Gottes Liebe nicht annehmen. Nicht, weil Gottes Liebe zu schwach wäre, sondern weil wir ihr mit unserer Lieblosigkeit eine Grenze setzen. Gottes Vergebung an uns kann nur dann konkret werden, wenn wir selbst bereit sind, zu vergeben. Jesus zeigt, wie Gott will, dass wir vor ihn hintreten: mit einem demütigen und liebenden Herzen. Nicht das Hervorheben unserer eigenen Gerechtigkeit lässt Gott unsere Sünden vergeben, sondern das Tun der Liebe. Unsere ganze Gerechtigkeit kann die Schwere unserer Schuld nicht aufwiegen, nur die Liebe hat Gewicht.
Wir können leicht aus der Distanz sagen, warum ist der Pharisäer so blind. Es wäre doch nur ein kleiner Schritt gewesen, dann wäre ihm die gleiche Fülle des Geschenkes zuteil geworden wie der Frau. Er hätte nur ehrlichen Herzens zu Jesus sagen brauchen: Ich verstehe, was du sagst, auch ich bin ein Sünder, Herr, verzeih mir. Stattdessen aber schweigt er. Er bringt diese Worte einfach nicht über seine Lippen.
Aber auch wir sind oft in uns gefangen. Wir ertappen uns immer wieder dabei, wie wir über andere urteilen, wie wir Hass in unserem Herzen aufsteigen lassen anstatt Liebe. Es fällt uns schwer, über unseren Schatten zu springen, wir wollen das Gesicht wahren. Auch wir treten Jesus lieber als vornehmer Hausherr gegenüber, der seinen Gast zwar freundlich, aber doch distanziert empfängt, anstatt wie die Frau uns nicht zu schade zu sein, vor Jesus niederzuknien und den Schmutz von seinen Füßen mit den Haaren abzuwischen.
In Jesus zeigt uns Gott, wie kostbar ihm jeder Mensch ist. Wir kennen die Beispiele großer Heiliger, die sich mit ihrer Liebe den Menschen zugewandt haben, die die Wunden der Aussätzigen berührt haben, vor denen sich die anderen voll Ekel abgewandt haben, die zu denen gegangen sind, die von allen anderen gemieden wurden. Es muss nicht immer so spektakulär ablaufen, es können auch auf den ersten Blick ganz unscheinbare Begegnungen sein, die doch eine große Wirkung haben. Glauben wir an Gottes barmherzige Liebe. Er wird uns sicher nicht enttäuschen.

Dankbarkeit

Dankbarkeit

Liebe erweisen, das bedeutet auch dankbar sein für das, was wir geschenkt bekommen, von Gott und den Menschen. Es ist nicht selbstverständlich, dass uns so vieles oft ganz unverdient zu Teil wird. Es war auch ein Zeichen der Dankbarkeit, dass die Frau Jesus die Füße gewaschen hat, da sie wusste, dass er ihr Vergebung schenken wird, obwohl sie es nicht verdient hatte und sie diese mit nichts auf der Welt hätte erwerben können. Über die Dankbarkeit sagt Thomas Merton:

Unsere Gotteserkenntnis vollendet sich in der Danksagung: Unser Herz ist mit Dank erfüllt und wir frohlocken im Bewusstsein der Wahrheit, dass er die Liebe ist.
Zwischen Dankbarkeit und Undankbarkeit gibt es keine neutrale Zone. Wer nicht dankbar ist, findet bald Gelegenheit, sich über alles zu beklagen. Wer nicht liebt, hasst. Im geistlichen Leben gibt es so etwas wie Gleichgültigkeit gegenüber Liebe und Hass nicht. Deshalb erregt die Lauheit, die sich als Gleichgültigkeit gibt, solchen Abscheu. Im Grunde handelt es sich hier um Hass, der die Maske der Liebe trägt.
Die Lauheit, in der das Herz weder "heiß noch kalt" ist - in der das Herz weder offen liebt noch hasst -, ist ein Zustand, in dem der Mensch Gott und seinen Willen weit von sich weist, während er die Täuschung einer äußerlichen Fassade, Gott zu lieben, noch aufrecht hält, um allen Komplikationen aus dem Weg zu gehen und die Achtung vor sich selbst nicht zu verlieren.
Es handelt sich hier um einen Zustand, dem vor allem diejenigen leicht zum Opfer fallen, die Gottes Gnaden für eine Selbstverständlichkeit halten und als lauter Gewohnheit undankbar sind. Ein Mensch, der wirklich auf Gottes Gutsein eingeht und sich für alles, was er empfängt, dankbar erweist, kann unmöglich ein lauer Christ sein.
Dankbarkeit bedeutet mehr als eine reine Gedächtnisstütze, mehr als eine bloße Floskel. Wir dürfen uns nicht damit zufrieden geben, das, was Gott uns getan hat, leichthin in unserem Gedächtnis zu "registrieren", um ihm dann einmal so nebenbei für die Güte, die er uns erwiesen hat, zu danken!
Dankbar sein bedeutet, Gottes Liebe in allem, was er uns gegeben hat, zu erkennen - und er hat uns wahrlich alles gegeben. Jeder Atemzug, den wir tun, ist ein Geschenk seiner Liebe; jede Sekunde unseres Menschseins ist eine Gnade; denn sie birgt eine Fülle kostbarer Gnaden.
Aus diesem Grund findet die Dankbarkeit nichts selbstverständlich. Deshalb lässt sie auch die Gnaden nicht ohne Antwort und erwacht immer wieder zu neuem Staunen und Lobpreis im Anblick des göttlichen Gutseins. Der dankbare Mensch weiß nicht vom Hörensagen, sondern aus eigener Erfahrung, dass Gott gut ist. Das macht den wesentlichen Unterschied aus.

Erfahre ich mich von Gott unendlich reich beschenkt? Was sind solche Geschenke von Gott - ganz konkret? Wo zeige ich Gott meine Dankbarkeit, wo erweise ich viel Liebe, weil mir viel vergeben, viel geschenkt wurde?

Galater
Ich aber bin durch das Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich für Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt worden; nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Soweit ich aber jetzt noch in dieser Welt lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat. (Gal 2,19-20)

Paulus will den Galatern deutlich machen, welche Freiheit ihnen der Glaube an Jesus Christus schenkt. Er will ihnen zeigen, wie der Glaube an Jesus Christus Leben bedeutet, die Übernahme des Gesetzes aber, die seine Gegner von den Galatern verlangen, den Tod.
Das Gesetz stellt eine unmögliche Anforderung an den Menschen. Es verlangt, genau dies und jenes zu tun und genau dies und jenes zu unterlassen. Es regelt das menschliche Leben bis ins kleinste Detail. Wer vollkommen nach dem Gesetz handelt, der ist gerecht vor Gott. Der Mensch kann sich durch das Gesetz also selbst vor Gott rechtfertigen, wenn er es bis ins kleinste Detail einhält. Aber, und das wissen auch die frommen Juden, kein Mensch kann das Gesetz bis ins kleinste Detail befolgen. Daher ist kein Mensch gerecht vor Gott, jeder ist ein Sünder und daher dem Tod geweiht, denn der Tod ist die Folge der Sünde, die aus der Übertretung des Gesetzes folgt.

Das Gesetz befiehlt nämlich, alle Vorschriften zu beobachten, und bestraft den Ungehorsam. Folglich sind wir ihm alle abgestorben, da keiner es ganz erfüllt hat. - Beachte auch hier die Zurückhaltung, mit der er gegen das Gesetz ankämpft! Er sagt nicht: das Gesetz ist mir gestorben, sondern: ich bin dem Gesetze gestorben. Der Sinn seiner Worte ist der: Wie ein Toter, ein Leichnam nicht imstande ist, auf die Vorschriften des Gesetzes zu hören, ebenso wenig bin ich es, der ich durch den Fluch desselben gestorben bin. Denn durch seinen Ausspruch bin ich dem Tode verfallen. (Johannes Chrysostomus)

Gott aber befreit die Menschen von dieser Gefangenschaft des Todes. Jesus Christus, der Sohn Gottes, hat selbst hat die Verurteilung des Gesetzes auf sich genommen und ist für alle in den Tod gegangen. Das Gesetz Gottes hat somit Gott selbst getötet. Doch dadurch, dass der Vater den Sohn von den Toten auferweckt, schenkt Gott neues Leben allen, die mit Christus in den Tod gehen. Die Taufe ist dieser Tod, aus dem jeder, der sich taufen lässt, als neuer Mensch hervor geht. In der Taufe erhält der Mensch Anteil an diesem neuen Leben, das Gott schenkt.

Durch die Worte: "mit Christus bin ich gekreuzigt worden", spielt er an die Taufe an, durch die Worte aber: "doch nicht mehr ich lebe" auf den darauffolgenden Lebenswandel, der unsere Glieder abtötet. Was aber besagt der Zusatz: "Christus lebt in mir?" Er will sagen: Nichts geschieht meinerseits gegen Christi Willen. Wie er nämlich unter Tod nicht den gewöhnlichen Tod versteht, sondern den der Sünde, so versteht er auch unter Leben die Befreiung von derselben. Gott leben kann nur, wer der Sünde abgestorben ist. (Johannes Chrysostomus)

Das neue Leben, das Gott in der Taufe schenkt, ist für jeden Gabe und Aufgabe zugleich, Gabe, weil Gott es umsonst gibt, Aufgabe aber, weil jeder Mensch die ihm verliehene Gabe Wirklichkeit werden lassen muss. Jeder Getaufte ist dazu berufen, eine lebendige Ikone Jesu Christi zu sein und sich damit des neuen Lebens würdig zu erweisen, das Gott schenkt. In diesem neuen Leben aber spielt das alte Gesetz keine Rolle mehr. Gleichwohl aber gibt es auch für Christen Gebote, an die sie sich zu halten haben.
Wahrscheinlich ist das neue Leben aus dem Glauben sogar anspruchsvoller als das Leben nach dem Gesetz. Denn das Gesetzt machte klare Vorschriften. Stellt man aber das ganze Leben unter das Gebot der Liebe - und zwar auch der Liebe zu den Feinden - so wird weit mehr von uns verlangt, als es das Gesetz tut. Aber wir brauchen dabei nicht zu verzagen, denn nun ist es Christus, der durch uns handelt und uns Kraft gibt zu unserem Tun.
Nun wartet nicht mehr der Tod auf uns, weil wir es ja nicht schaffen, das Gesetz zu erfüllen. Gott weiß um unser Versagen. Nun warten Gottes liebende Hände auf uns, die uns immer wieder aufrichten, wenn wir fallen, und ihm unsere Hände entgegenstrecken, damit er uns aufhilft.

Christus, lebe du in mir.
Unterwirf mein Leben den Gesetzen deines Lebens.
Mach mein Leben deinem Leben gleich.
Lebe du in mir, bete du in mir, leide du in mir.
Mehr verlange ich nicht.
Denn wenn ich dich habe, bin ich reich.
Wer dich gefunden hat, hat die Kraft und den Sieg seines Lebens gefunden.
(Gebet nach Karl Rahner)

Das Beispiel des Abbas Agathon

Von Abbas Agathon sind zwei Apophthegmata überliefert, die mich sehr beeindruckt haben, und die uns eine gute Hilfe dabei sein können, darüber nachzudenken, wie Liebe konkret werden kann.

Altvater Agathon aber sagte: "Wenn es sich machen ließe, dass ich einen Aussätzigen fände und ihm meinen Leib geben könnte, um dafür den seinen zu erhalten, ich täte es gern. Das nämlich ist vollendete Liebe."

Abbas Agathon sollte eine Gelegenheit bekommen, um zu zeigen, dass dies nicht nur fromme Worte sind, sondern dass er sie durchaus auch bereit war, in die Tat umzusetzen:
Als einmal der Altvater Agathon in eine Stadt kam, um kleine Gefäße zu verkaufen, fand er neben dem Weg einen Aussätzigen. Der frage ihn, wohin er gehe. Altvater Agathon antwortete: "In die Stadt, um Gefäße zu verkaufen." Da sprach er zu ihm: "Tu mir die Liebe und bring mich dorthin." So nahm er ihn auf und trug ihn in die Stadt.
Der Aussätzige sagte: "Da, wo du deine Gefäße verkaufst, da lege mich hin." Und Agathon tat so. Nachdem er ein Gefäß verkauft hatte, fragte ihn der Leprose: "Um wieviel hast du es verkauft?" Er antwortete: "Um soundsoviel ..." Und der Leprose bat ihn: "Kaufe mir einen Kuchen!" Er kaufte ihn. Und wiederum verkaufte Agathon ein Gefäß, und der andere fragte: "Um wieviel das?" - "Um soviel ..." Und er sprach zu ihm: "Kaufe mir das ..." Und er kaufte es.
Nachdem er alle Gefäße verkauft hatte und heimkehren wollte, sagte der Kranke zu ihm: "Du gehst?" Er antwortete: "Ja." Da sprach er zu ihm: "Tu mir den Gefallen und bringe mich wieder dahin, wo du mich fandest." Agathon nahm ihn auf die Schulter und brachte ihn an seinen Ort. Der Aussätzige aber sprach: "Gesegnet bist du, Agathon, vom Herrn im Himmel und auf Erden." Als Agathon seine Augen erhob, sah er niemanden. Denn es war ein Engel des Herrn, der gekommen war, ihn zu prüfen.