Jahreskreis C

29. Sonntag

Erste Lesung

Ex 17,8-13

In jenen Tagen kam Amalek und suchte in Refidim den Kampf mit Israel. Da sagte Mose zu Josua: Wähl uns Männer aus, und zieh in den Kampf gegen Amalek! Ich selbst werde mich morgen auf den Gipfel des Hügels stellen und den Gottesstab mitnehmen. Josua tat, was ihm Mose aufgetragen hatte, und kämpfte gegen Amalek, während Mose, Aaron und Hur auf den Gipfel des Hügels stiegen.
Solange Mose seine Hand erhoben hielt, war Israel stärker; sooft er aber die Hand sinken ließ, war Amalek stärker. Als dem Mose die Hände schwer wurden, holten sie einen Steinbrocken, schoben ihn unter Mose, und er setzte sich darauf. Aaron und Hur stützten seine Arme, der eine rechts, der andere links, so dass seine Hände erhoben blieben, bis die Sonne unterging. So besiegte Josua mit scharfem Schwert Amalek und sein Heer.

Zweite Lesung

2Tim 3,14-4,2

Mein Sohn! Bleibe bei dem, was du gelernt und wovon du dich überzeugt hast. Du weißt, von wem du es gelernt hast; denn du kennst von Kindheit an die heiligen Schriften, die dir Weisheit verleihen können, damit du durch den Glauben an Christus Jesus gerettet wirst.
Jede von Gott eingegebene Schrift ist auch nützlich zur Belehrung, zur Widerlegung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit; so wird der Mensch Gottes zu jedem guten Werk bereit und gerüstet sein.
Ich beschwöre dich bei Gott und bei Christus Jesus, dem kommenden Richter der Lebenden und der Toten, bei seinem Erscheinen und bei seinem Reich: Verkünde das Wort, tritt dafür ein, ob man es hören will oder nicht; weise zurecht, tadle, ermahne, in unermüdlicher und geduldiger Belehrung.

Evangelium

Lk 18,1-8

In jener Zeit sagte Jesus ihnen durch ein Gleichnis, dass sie allezeit beten und darin nicht nachlassen sollten:
In einer Stadt lebte ein Richter, der Gott nicht fürchtete und auf keinen Menschen Rücksicht nahm. In der gleichen Stadt lebte auch eine Witwe, die immer wieder zu ihm kam und sagte: Verschaff mir Recht gegen meinen Feind! Lange wollte er nichts davon wissen. Dann aber sagte er sich: Ich fürchte zwar Gott nicht und nehme auch auf keinen Menschen Rücksicht; trotzdem will ich dieser Witwe zu ihrem Recht verhelfen, denn sie lässt mich nicht in Ruhe. Sonst kommt sie am Ende noch und schlägt mich ins Gesicht.
Und der Herr fügte hinzu: Bedenkt, was der ungerechte Richter sagt. Sollte Gott seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht zu ihrem Recht verhelfen, sondern zögern? Ich sage euch: Er wird ihnen unverzüglich ihr Recht verschaffen. Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde noch Glauben vorfinden?
Heilige Schrift

Treue im Glauben

Du aber bleibe bei dem, was du gelernt und wovon du dich überzeugt hast. Du weißt, von wem du es gelernt hast; denn du kennst von Kindheit an die Heiligen Schriften, die dich weise machen können zum Heil durch den Glauben an Christus Jesus. Jede Schrift ist, als von Gott eingegeben, auch nützlich zur Belehrung, zur Widerlegung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes gerüstet ist, ausgerüstet zu jedem guten Werk. (2Tim 3,14-17)

Diese Worte, die Paulus an Timotheus schreibt, lösen in mir positive und negative Empfindungen aus. Zum einen ist das "Bleiben" bei dem Überlieferten und Gelernten gut und wichtig, zum anderen aber hat jede Zeit, und ich denke besonders auch die heutige mit ihren raschen globalen Veränderungen, ihre ganz eigenen neuen Herausforderungen und Fragen, die wir nicht allein mit den Argumenten aus früheren Zeiten beantworten können.
Blicken wir zunächst kurz auf den historischen Kontext, in dem die Pastoralbriefe, zu denen auch der Zweite Timotheusbrief gehört, entstanden sind. Der Brief nennt den Apostel Paulus als Verfasser und Timotheus, einen an vielen Stellen des Neuen Testaments erwähnten engen Mitarbeiter des Paulus, als Adressaten. In der modernen Exegese geht man davon aus, dass dieses Konstrukt eine Fiktion ist. Der Name des Paulus wird verwendet, um dem Schreiben eines anonymen Autors, der in der Tradition des Paulus steht, eine größere Bedeutung zu verleihen. Diese Praxis war in der Antike nicht ungewöhnlich. Wahrscheinlich ist der Brief erst an der Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert entstanden.
Ein Indiz für den pseudepigraphischen Charakter des Briefes, wie man diese Fiktion in der Fachsprache nennt, sind die von den "echten" Paulusbriefen stark abweichenden Formulierungen und Schwerpunkte. Während man bei den "echten" Paulusbriefen die Lebendigkeit des Anfangs spüren kann und Paulus sich vor allem damit auseinandersetzt, was Gnade und Erlösung für uns bedeuten, oft im Vergleich mit dem "Gesetz" der Juden, mit dem auch Paulus aufgewachsen ist, geht es in den Pastoralbriefen um die Auseinandersetzung mit Irrlehrern aus dem Bereich der Gnosis, um Endzeiterwartungen und den Ausbau einer hierarchischen Gemeindestruktur. Der Glaube ist nicht mehr neu in den Gemeinden, wie bei der Mission des Paulus, sondern kann bereits auf eine gewisse Tradition zurückblicken.
Die Heiligen Schriften, von denen hier die Rede ist, sind in erster Linie die Schriften des Alten Testaments. Sie weisen hin auf Jesus Christus. Für die ersten Christen war es besonders wichtig zu zeigen, dass Jesus Christus der Messias ist, in dem die Verheißungen der Propheten ihre Erfüllung finden. Wer die Heiligen Schriften studiert, findet in ihnen den Beleg dafür, dass das, was Paulus und die anderen Apostel über Jesus Christus lehren, der Wahrheit entspricht, und er findet in ihnen auch die Argumente dafür, dass die verschiedenen Irrlehrer, sei es aus dem Bereich des Judentums oder der Gnosis, nicht in der Tradition der Wahrheit stehen.
Somit muss das "Bleiben" in der Tradition nicht unbedingt rückständig sein. Nur wer das Alte gelernt hat, kann dem Neuen begegnen. Es gibt eine Wahrheit, die durch alle Veränderungen der Geschichte hindurch feststeht. Sie zeigt uns den Menschen als von Gott geschaffenes und auf Gott hin ausgerichtetes Wesen und sie zeigt uns Gott als den Menschen zugewandt, so sehr, dass er in Jesus Christus Mensch wird, um uns zu begegnen und uns den Weg zum wahren Menschsein zu zeigen.
Aber wie können wir heute an einen Gott glauben, der den Menschen erschaffen hat? Wir wissen heute, dass die Schöpfungsberichte der Bibel nur Mythen sind. Wir wissen heute, dass die Welt nicht in sechs Tagen erschaffen worden ist, sondern dass es Milliarden von Jahren gedauert hat, bis die Erde zu einem bewohnbaren Planeten geworden ist. Wir wissen, dass die Erde im Universum keinerlei Sonderstellung hat. Wir sind nicht der Mittelpunkt der Welt, wie es bis vor nicht allzu langer Zeit allgemeiner Konsens war. Warum sollte gerade der Mensch, ein kleines Lebewesen auf einem im Nirgendwo eines riesigen Universums gelegenen Planeten solch eine Bedeutung haben, dass er Gottes Ebenbild ist? Und noch drängender die Frage: Gibt es überhaupt so etwas wie einen Gott im Universum?
Können wir solche Fragen einfach wegwischen mit dem Hinweis, dass die Heiligen Schriften es uns doch so lehren, dass es diesen Gott gibt? Nicht allein der Hinweis auf das Alter dieser Schriften ist Beleg für ihren Wahrheitsgehalt. Ich glaube vielmehr, dass es darauf ankommt, diese Schriften immer wieder neu mit Leben zu füllen. Wichtigstes Argument für Gott ist meiner Ansicht nach die Erfahrung jedes Menschen, der sich wirklich auf ein Leben mit Gott einlässt, dass dieser Gott zu allen Zeiten hält, was er verheißen hat. Gott schafft auch heute Leben, schenkt uns erfülltes Leben, wenn wir ihn zum Herrn unseres Lebens machen.
Die Heiligen Schriften, die Überlieferung der Kirche, das Zeugnis der Heiligen, all das zeigt uns den Weg, wie wir Gott finden, ihm begegnen können, wie es uns gelingt, mit ihm zu leben. Wir können glauben, dass Gott nicht existiert und so leben, als gäbe es ihm nicht. Aber wir können auch daran glauben, dass Gott existiert und so leben, dass er der Herr unseres Lebens ist. Nur wer sich auf das Abenteuer des Glaubens einlässt, kann Gott begegnen und die Erfahrung machen, dass es sich lohnt, den Weg mit ihm zu gehen.
Nur wer selbst lernt, Erfahrungen macht und so zu einer Überzeugung kommt, kann anderen Zeugnis geben. Verbinden wir das Alte mit dem Neuen, vor allem machen wir uns selbst auf den Weg mit diesem Gott, damit wir auch heute Zeugnis geben können vom Heil, das dieser Gott den Menschen schenken möchte. Die Zeit drängt und an jeden von uns ist der Aufruf aus dem Zweiten Timotheusbrief gerichtet:

Ich beschwöre dich bei Gott und bei Christus Jesus, dem kommenden Richter der Lebenden und der Toten, bei seinem Erscheinen und bei seinem Reich: Verkünde das Wort, tritt auf, ob gelegen oder ungelegen, überführe, weise zurecht, ermahne, in aller Geduld und Belehrung! (2Tim 4,1-2)
Verloren im Universum
oder geborgen bei Gott?
Für alles offen
oder auf der Suche nach dem einen Weg?
Verirrt
oder von Gott gefunden?
Nur Menschenworte
oder Gottes Wort, das lebendig ist?
Ich will leben
um zu erfahren
ich will erfahren
um Zeugnis zu geben
für das Leben
und den Gott des Lebens.
Amen.
Heilige Schrift

Israels Kampf gegen Amalek

Israel ist nach dem Auszug aus Ägypten bereits mehrere Monate in der Wüste unterwegs. Vieles ist seither geschehen. Das Volk hat mehrere Durststrecken hinter sich, auf denen Gott lebenspendendes Wasser geschenkt hat. Täglich findet das Volk Manna als Nahrung in der Wüste und ab und zu gibt es auch Fleisch durch vorüberfliegende Wachtelschwärme. Aber alles in allem ist es ein beschwerlicher Weg und mehr als einmal waren die Israeliten drauf und dran, lieber wieder in die Sklaverei nach Ägypten zurückzukehren, als den ungewissen Weg in ein neues Land zu suchen.
Bei all den Strapazen stellt sich dem Volk nun auch noch ein Feind in den Weg und sucht den Kampf mit Israel. Es handelt sich um die Amalekiter, die fortan als Erzfeind des Volkes Israel gelten. Über die Amalekiter lässt sich historisch wenig sagen, da sie in außerbiblischen Quellen bisher nicht eindeutig identifiziert werden konnten. Sie werden uns im Alten Testament als räuberisches Nomadenvolk vorgestellt, das in den Gegenden zwischen Ägypten und dem Gelobten Land lebt.
Die Amalekiter werden als Teil der Edomiter gesehen. Esau, der Bruder Jakobs, wird in den Geschlechterlisten des Alten Testaments als Stammvater der Edomiter genannt. Amalek ist ein Enkel Esaus und gehört zu den Häuptlingen Edoms. Der Krieg gegen die Amalekiter durchzieht als blutige Spur die Geschichte Israels bis in die Königszeit hinein und der Befehl zur Ausrottung der Amalekiter gilt als göttliches Gebot. Dies zeigt, wie tief der Hass zwischen den beiden Völkern ist. Psalm 83 nennt Amalek in einer Reihe anderer Völker als Repräsentant der feindlichen Völkerwelt, ja der Chaosmächte schlechthin, die Israel bedrohen und als Volk auslöschen wollen.
Die Erzählung in Ex 17,8-16 begründet die Erzfeindschaft zwischen Amalek und Israel und gilt zugleich als theologische Lehrerzählung die Kraft des Gebets. Auf Geheiß des Mose wählt Josua mehrere Männer als Krieger aus, um gegen Amalek in den Kampf zu ziehen. Doch das Kriegsglück Israels entscheidet nicht allein der Kampfgeist dieser Männer. Während Josua mit seinen Männern in den Kampf zieht, steigt Mose zusammen mit Aaron und Hur auf einen Berg, von dem aus er die Schlacht überblicken kann.
Das inständige Gebet des Mose entscheidet schließlich die Schlacht, denn solange Mose seine Hände mit dem Gottesstab, der schon den Weg durch das Rote Meer gebahnt hat, erhoben hat, ist Israel stärker. Verständlicherweise geht Mose nach einiger Zeit die Kraft aus, seine Hände drohen zu sinken, sobald er aber die Hände sinken lässt, gewinnt Amalek an Macht. Aaron und Hur bringen daraufhin einen Stein herbei, auf den Mose sich setzen kann und stützen seine Arme zu beiden Seiten. So geht Israel schließlich siegreich aus dem Kampf hervor.
Gott hat den Sieg gewirkt durch die Anführer Israels, die einander gegenseitig beigestanden sind. Josua mit seinen Männern hätte den Kampf nicht gewonnen, wenn Mose nicht inständig für den Sieg gebetet hätte. Mose hätte nicht die Kraft zu diesem Gebetsbeistand gehabt, wenn ihn nicht Aaron und Hur gestützt hätten. So sind alle aufeinander angewiesen und in dieser Solidarität wirkt Gottes Kraft. Israel soll erkennen, dass es gegen seine Feinde nur bestehen kann, wenn es diese Solidarität untereinander verbunden mit dem festen Glauben an Gott bewahrt.
Auch für uns heute ist diese Erzählung ein Beispiel für die Kraft des Gebetes. Gebet, das ist gegenseitiger Beistand. Gott will, dass wir seine Kraft durch unser Zusammenwirken erfahrbar werden lassen.

Du Glanz der Herrlichkeit des Vaters, du Licht vom wahren Licht und du Quelle allen Glanzes, du Tag, der den Erdentag erleuchtet, du wahre Sonne, sende dein Licht auf uns herab, mit deiner urewigen Herrlichkeit und offenbare unseren menschlichen Sinnen das Feuer des Allheiligen Geistes! Darum bitten wir dich von ganzem Herzen, du Vater der ewigen Herrlichkeit, du Vater der mächtigen Gnade.
Beschütze uns vor den Angriffen des Bösen! Erfülle uns mit deiner Stärke und beschütze uns vor unseren Hassern! Schenke uns Halt in unseren Nöten und schenke uns allen eine hilfreiche Hand. Erleuchte und lenke unser Denken in einem gereinigten Leib, der dir dein Diener ist. Lass unseren Glauben stark werden und besiege allen Irrtum.
(Hl. Ambrosius von Mailand)

O Christus, unser Gott, der du zu jeder Zeit und zu jeder Stunde im Himmel und auf Erden angebetet und verherrlicht wirst, du Langmütiger, du Barmherziger und du Huldvoller, der du die Gerechten liebst und dich über die Sünder erbarmst, der du alle zur Errettung rufst durch die Verheißung der zukünftigen Güter, du selbst, o Herr, nimm die Gebete an, die wir dir in dieser Stunde darbringen, und wende unser Leben deinen Geboten zu. Heilige unsere Seelen, reinige unsere Leiber, bringe unser Denken in Ordnung, mache unsere Gesinnungen rein und erlöse uns von aller Trübsal, Bosheit und Qual. Beschirme uns durch deine heiligen Engel, damit wir, durch ihre Schar bewacht und geführt, zur Einigung im Glauben und zur Erkenntnis deiner unaussprechlichen Herrlichkeit gelangen. Denn du bist gepriesen in die Ewigkeiten der Ewigkeiten. Amen.
(Hl. Basilius der Große)

Die Arten des Gebetes

Man hat das Gebet in die drei Arten Bitt-, Dank- und Lobgebet unterschieden.
Das Bittgebet halten wir dabei oft für weniger wertvoll als Dank und Lob. Es heißt, das Bittgebet wäre ichbezogener, weil wir dabei unsere eigenen Interessen an erste Stelle setzen würden. In der Tat erleben wir oft, dass unsere augenblicklichen Sorgen unser Gebet ausfüllen, so dass es eine lange Liste von Bitten und Wünschen wird.
Das Dankgebet sagt man, sei mehr auf Gott gerichtet, wenngleich im Zusammenhang mit einer Gabe, die wir von Gott erhalten haben. Das Lobgebet aber steht für viele am höchsten, weil es anscheinend ganz auf Gott gerichtet ist, unabhängig von unseren Bitten und deren Erfüllung.
Wenn auch diese Unterscheidung uns hilft, die Formen des Gebetes einzuteilen, kann man doch die dadurch gemachte Wertung des Gebetes in Zweifel ziehen. Nach Henri Nouwen, von dem ich die Gedanken für diesen Text genommen habe, ist beim Gebet nicht die Einstufung in Bitt-, Dank- oder Lobgebet wichtig, sondern inwieweit es ein Gebet der Hoffnung oder der Kleingläubigkeit ist.
Wenn wir uns beim Beten mit ganz konkreten Wünschen an Gott richten und zugleich eine ganz konkrete Vorstellung haben, wie sie erfüllt werden sollen, kann es leicht sein, dass wir mit unserem Beten auf der Stufe der Kleingläubigkeit stehen. Damit einher geht oft die Enttäuschung darüber, dass Gott nicht genau so handelt, wie wir es uns vorstellen.
Bei dem Gebet der Kleingläubigkeit, so schreibt Henri Nouwen, ist es die Konkretheit der Wünsche, die die Möglichkeit der Hoffnung ausschließt. Das kleingläubige Gebet gibt sich mit ganz konkreten und dadurch auch beschränkten Wünschen zufrieden und sieht gar nicht, dass Gott viel Größeres tun kann, als wir erwarten und erbitten.
Dadurch verschließen wir uns aber für das, was Gott mit uns tun möchte - und auch für das, was Gott uns schenken möchte, damit wir seinen Willen erfüllen können. Wir haben dann keine Geduld für die Verheißungen Gottes und vertrauen nicht auf die unsichtbaren Gegebenheiten, die die Zukunft bringt. Das kleingläubige Gebet macht uns zu Zwergen in einer Welt von Winzigkeiten.
Wenn wir aber in der Grundeinstellung der Hoffnung leben, sagt Henri Nouwen, versteigen wir uns nicht in Spekulationen darüber, ob unsere Wünsche auch Erfüllung finden werden. Wir dürfen mit all unseren auch ganz konkreten und alltäglichen Anliegen zu Gott kommen. In unserem Beten geht es aber nicht um die Erfüllung eines Wunsches, sondern um den Ausdruck eines grenzenlosen Glaubens an den Geber alles Guten.
Wenn wir voll Hoffnung beten, sind unsere Gebete nicht auf die Gabe gerichtet, sondern auf den, der sie uns zukommen lässt. Das Gebet der Hoffnung verlangt keine Garantien, stellt keine Bedingungen und braucht keine Beweise. Wir erwarten alles von Gott, ohne ihn aber in irgendeiner Weise binden zu wollen.
Unsere Hoffnung gründet auf dem Vertrauen, dass Gott uns das geben wird, was gut ist. Hoffnung bezieht eine Offenheit ein, in der wir die Erfüllung eines Versprechens erwarten, wenn wir auch nicht wissen, wann, wo oder wie dies geschehen wird.
Unsere konkreten Bitten werden dann zu Wegen, auf denen wir unser uneingeschränktes Vertrauen in den zum Ausdruck bringen, der alle Verheißungen erfüllt, der nur das Gute für uns will und der Güte und Liebe mit uns teilen möchte.

Guter Gott,
ich bin voller Wünsche, voller Sehnsüchte, voller Erwartungen. Manche von ihnen werden vielleicht Wirklichkeit, manche vielleicht nicht. Doch bei aller Befriedigung oder Enttäuschung hoffe ich auf dich.
Ich weiß, dass du mich niemals allein lassen und dass du deine göttlichen Verheißungen erfüllen wirst. Selbst wenn es scheint, dass alles anders verläuft, als ich will, weiß ich, dass alles nach deinem Willen geschieht und dass am Ende dein Weg der beste Weg für mich ist.
O Herr, stärke meine Hoffnung, besonders dann, wenn meine vielen Wünsche nicht erfüllt werden. Lass mich niemals vergessen, dass dein Name Liebe ist.
Amen.
(Henri Nouwen)
Heilige Schrift

Das unablässige Flehen der Witwe

Jesus will den Glauben und den Mut der Jünger stärken. Es scheint manchmal so hoffnungslos zu sein, eine Welt, in der statt Gerechtigkeit das Recht des Stärkeren regiert, eine Gesellschaft, die nicht nach Gott fragt, Menschen, die den Jüngern ablehnend gegenüberstehen. Wie soll das weiter gehen? Wer kann gerettet werden? Wie können wir Zeugen für Gottes Liebe sein und Glaube und Gerechtigkeit unter den Menschen stärken?
Gott wird Hilfe bringen. Jesus sagt den Jüngern: Schaut her, da in ein gottloser Richter, der nur auf seinen Vorteil bedacht ist, der bei den Reichen ein und aus geht und selbst ein großes Vermögen hat. Und da ist eine arme Witwe. Jemand hat ihr wohl zu Unrecht auch noch das wenige weggenommen, das sie besaß. Vielleicht war es ein kleines Vermögen ihres verstorbenen Mannes, auch das ein anderer Anspruch erhoben hat. In einem Gerichtsverfahren hätte die Witwe Aussicht auf Erfolg. Aber ein solches Verfahren kostet Geld. Vielleicht gehört ihr Gegner auch zu den Reichen und Mächtigen, so dass keiner sich mit ihm anlegen möchte. Wen kümmert schon das Schicksal einer armen Witwe.
Doch sie gibt nicht auf. Jeden Tag läuft sie auf der Straße hinter dem Richter her, um ihn anzuflehen. Er wendet ihr keinen Blick zu, seine Diener halten die Frau zurück, aber doch wird ihm die Sache langsam lästig. Irgendwann erwischt ihn die Frau doch und sie könnte ihm ins Gesicht schlagen. Das wäre eine Schande vor allen Leuten. Daher gibt er eines Tages nach. Nicht, weil er Gott fürchten würde oder der Frau etwas Gutes tun wollte, einfach nur aus eigenem Interesse, damit er endlich Ruhe vor ihr hat.
Wenn schon der gottlose Richter der Frau hilft, sagt Jesus seinen Jüngern, wie viel mehr wird Gott denen helfen, die ihn bitten! Gott liebt die Menschen. Er will uns Gutes tun. Vielleicht liegt es eher an unserem Kleinglauben, dass Gott nicht hilft? Jesu Warnung am Ende des Gleichnisses sollte uns zu denken geben. Nicht Gott verlässt die Menschen, Gott kann nichts Gutes tun, wenn die Menschen nicht an seine Hilfe glauben.

Du bist erhört worden? Danke deswegen Gott, weil du erhört worden bist. Du bist nicht erhört worden? Bleibe in Gottes Nähe, um erhört zu werden.
(Hl. Johannes Chrysotomus)

Die Texte des heutigen Sonntags regen dazu an, über das Gebet nachzudenken. Beten ist eine Grundeigenschaft des gläubigen Menschen. Im Gebet tritt der Mensch in eine ganz besondere Beziehung zu Gott. Doch jeder Mensch hat eine andere Form des Betens. Wichtig ist, dass das Gebet im Laufe des Lebens mit dem Menschen wächst, dass der Mensch immer tiefer in das Beten und in die Beziehung zu Gott hinein wächst.

Jesus sagte ihnen in einem Gleichnis, dass sie immerfort beten und darin nicht nachlassen sollten. (Lk 18,1)

Mit diesem Satz aus dem heutigen Evangelium unterstreicht Jesus die Bedeutung des Gebets. Immer wieder haben Menschen darüber nachgedacht, wie es denn möglich ist, immerfort und ohne Unterlass zu beten. Der heilige Beda Venerabilis sagt über das immerwährende Beten:

Es ist aber zu sagen, dass derjenige immer betet und nicht nachlässt, der nicht aufhört, das Stundengebet zu verrichten. Oder: Alles, was der Gerechte gottgemäß tut und sagt, ist zum Gebet zu rechnen.

Hier haben wir zwei Erklärungen, wie immerwährendes Gebet möglich ist. Die eine besteht darin, den Begriff des Gebetes auszuweiten. Gebet, das sind nicht nur die Zeiten, in denen wir bewusst bestimmte Gebete verrichten, sondern Gebet ist auch all unser Tun und Reden, das aus unserem Glauben und damit auch aus dem Gebet hervorgeht. Indem wir Gutes tun, teilen wir die Früchte des Gebetes in unserem Alltag in der Welt aus. Wenn wir den Glauben verinnerlicht haben, werden wir bei all unserem Tun an Gott denken und darum bemüht sein, so zu handeln, wie er es von uns will. So durchwirkt der Gedanke an Gott als Gebet unser ganzes Leben, abwechselnd zwischen intensiven Gebetszeiten und Zeiten, in denen wir aus der Sammlung des Gebets in die Welt gehen.
Immerwährendes Gebet, das kann auch ein Gebet sein, dass den Tag strukturiert. Das Stundengebet, von dem Beda spricht, durchzieht den Tag, vom Morgenlob bis zum Nachtgebet. Leider hat sich das Stundengebet bei uns größtenteils auf Mönche und Kleriker reduziert, wobei es von seinem Ursprung her eigentlich das Gebet der ganzen Gemeinde war. Viele Menschen pflegen aber eine einfache Form des Stundengebets, indem sie treu ihr Morgen- und Abendgebet verrichten und auch der Rosenkranz ist ja eine Form des Stundengebets für alle, von dem wir im Laufe des Tages immer wieder ein Gesätz beten können.
Wenn wir vom immerwährenden Gebet sprechen, so ist dieser Begriff aber gerade in der Ostkirche einer besonderen Art des Gebetes vorbehalten, nämlich dem Herzens- oder Jesus-Gebet. Die "Aufrichtige Erzählung eines russischen Pilgers" beschreibt sehr eindrücklich, wie dieses Gebet erlernt werden kann, wie aus dem zunächst mündlichen Aufsagen der Gebetsworte:

"Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner"

ein Gebet des Herzens wird, wenn dieses Gebet durch die ständige Wiederholung in das Herz gewandert ist und nun wie von selbst sich den ganzen Tag über fortsetzt.
Wer sich für dieses Gebet interessiert, den verweise ich auf oben genanntes Buch oder andere Fachliteratur. Ich möchte dazu nur kurz noch einige Worte von Johannes Chrysostomus anführen:

Ohne Unterlass sollst du dem Namen Jesu anhaften, so dass dein Herz den Herrn austrinke und der Herr dein Herz, damit zwei werden in einem. Trennt euer Herz nicht von Gott, sondern verharrt in ihm, und bewahrt es überall mit dem Gedanken an den Herrn Jesus Christus, bis endlich der Name des Herrn im Innersten des Herzens Wurzeln geschlagen hat und es nichts anderes mehr denkt, als dass Christus in allem verherrlicht werde.

Es dürfte klar sein, dass man einem solchen Menschen diese innige Verbindung mit Jesus in all seinem Tun und Reden anmerkt. Auch dies wird in der Erzählung des russischen Pilgers beschrieben, wie vom Beter ein Segen ausgeht für die Menschen, denen er begegnet.

Das Gebet der Hoffnung

Immerwährendes Beten, das heißt in allen Situationen des Alltags an Gott denken, alles Tun mit einem Gebet zu beginnen oder zu beschließen. So machen wir uns bewusst, dass wir alles mit Gott tun wollen, nach seinem Willen und zu seiner Ehre. Wir machen uns aber auch bewusst, dass die Kraft für unser gutes Tun letztendlich ein Geschenk der Gnade Gottes ist.
Gott will uns schenken, was wir brauchen, noch ehe wir ihn darum bitten. Gott will aber auch, dass wir ihn bitten, weil wir dadurch unsere Offenheit dafür zeigen, dass wir bereit sind, von Gott etwas zu empfangen. Oft machen wir aber die Erfahrung, dass unsere Bitten von Gott scheinbar nicht erhört werden. Auch die Menschen zur Zeit des Evangelisten Lukas werden diese Erfahrung gemacht haben. Im heutigen Gleichnis sagt uns Jesus deutlich, dass es nie umsonst ist, Gott um etwas zu bitten. Wenn schon der hartherzige Richter nach langem Bitten bereit ist, der Witwe zu ihrem Recht zu verhelfen, wie viel mehr wird Gott, der die Menschen liebt, die Bitten derer, die zu ihm rufen, erhören. Johannes Chrysostomus sagt:

Dein Erlöser zeigte dir, was er will, dass du tust. Er will, dass du nicht aufhörst zu beten; er will, dass du an seine Wohltaten denkst, wenn du bittest; er will, dass du durch das Gebet empfängst, was seine Güte dir mitteilen möchte. Er, der in seiner Güte uns drängt, im Beten nicht nachzulassen, wird niemals denen, die ihn bitten, Wohltaten verweigern. Nimm den Aufruf des Herrn gerne an: Was er gebietet, musst du wollen - und nicht wollen, wenn der Herr etwas verbietet. Betrachte schließlich, welches Glück dir zuteilwurde, im Gebet mit Gott zu reden und zu erbitten, was du ersehnst. Gott - auch wenn er mit Worten schweigt - antwortet dennoch mit Wohltaten: Er verachtet deine Bitten nicht, du belästigst ihn nicht - es sei denn, du schweigst.

Das Gleichnis schließt mit einer Frage Jesu. Wird der Menschensohn bei seinem Kommen Glauben finden auf Erden? Wenn wir diesen Satz direkt auf den vorangegangenen Text beziehen, können wir ihn auch so deuten, dass Jesus fragt, ob es dann noch einen Menschen geben wird, der mit einen solchen Vertrauen zu Gott betet, dass er auch bereit ist, sich von Gott beschenken zu lassen.