Die Heiligen

1.6. Justin d.Märtyrer

Justin

Justin der Märtyrer
+ um 165
Märtyrer

Die erste Hälfte des zweiten Jahrhunderts ist eine turbulente Zeit. Die Menschen sind auf der Suche nach neuen Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. Im römischen Reich streiten die einzelnen Kulte und Philosophien um die Gunst der Menschen. Auch das Christentum breitet sich immer weiter aus. Es erreicht nun auch die Schicht der Gebildeten.
In diesem Streit der Weltanschauungen sehen sich die Christen massiven Widerständen ausgesetzt. Es werden Verleumdungen über Christen in Umlauf gebracht, die nicht wenige unkritisch übernehmen. Es ist eine Verteidigung des christlichen Glaubens erforderlich, die es auch mit der Weisheit der Philosophen aufnehmen kann.
Für diese Aufgabe ist Justin bestens geeignet. Er stammt aus Nablus, einer römischen Kolonie, die über den Resten der alten samaritanischen Stadt Sichem erbaut wurde. Er ist auf der Suche nach der Wahrheit, geht bei den Philosophen, insbesondere den Platonikern und Stoikern, in die Schule, doch sein Durst nach Wahrheit wird durch sie nicht gestillt.

Philosophie - Suche nach der Wahrheit

Justin sieht die Philosophie grundsätzlich positiv. Jeder, der sich auf die Suche nach der Wahrheit macht, ist anzuerkennen. Doch was er in den Schulen seiner Zeit erlebt, ist nicht die Suche nach der Wahrheit, wie sie die großen Philosophen gelebt haben. Hier geht es nur noch darum, die großen Lehrer zu bestaunen, aber nicht mehr darum, ihre Suche fortzuführen. Es geht um menschliche Eitelkeiten - und um Geld. Justin sagt:

Die Philosophie ist in der Tat ein sehr großes Gut, das auch vor Gott sehr viel gilt, zu dem sie allein uns führt, und mit dem sie allein uns verbindet, und wirklich heilig sind diejenigen, welche sich der Philosophie hingeben. Was aber Philosophie ist, und warum sie zu den Menschen geschickt wurde, bleibt der Menge verborgen. Denn sonst gäbe es nicht, obwohl sie nur eine einzige Wissenschaft ist, Platoniker und Stoiker und Peripatetiker und Theoretiker und Pythagoreer. Warum sie aber vielköpfig geworden ist, will ich euch sagen. Es kam so: denen, welche sich zuerst ihr widmeten und infolgedessen berühmt geworden sind, schlossen sich später solche an, die nichts nach der Wahrheit fragten; sie staunten jene nur an wegen ihrer Tatkraft und Selbstbeherrschung und wegen des Seltsamen ihrer Lehren und hielten deshalb schon für wahr, was jeder von seinem Lehrer lernte.

Justin, anfangs begeistert von der Schule der Philosophen, wendet sich schließlich enttäuscht ab:

Ich hatte anfangs den Wunsch, mich einem dieser Männer anzuschließen, und wandte mich deshalb an einen Stoiker. Nachdem ich längere Zeit mit ihm verkehrt war, ohne meine Kenntnisse über Gott zu bereichern - er selbst kannte ihn nämlich nicht, noch hielt er das Wissen um ihn für notwendig -, wandte ich mich von diesem ab und ging zu einem anderen Manne, einem sogenannten Peripatetiker, der sich für geistreich ansah. Dieser hatte nur die ersten Tage Geduld mit mir, dann verlangte er schon, ich solle die Bezahlung festsetzen, damit unser Verkehr nicht nutzlos wäre. Das war der Grund, warum ich auch ihn verließ, der nach meiner Ansicht überhaupt kein Philosoph war.

Einzig ein Platoniker half ihm weiter, doch nicht allein durch die Lehre Platons, sondern weil er Justin lehrte, den Weg der Einsamkeit und Stille zu suchen, auf dem die Erkenntnis in ihm reifen konnte. Als er sich dann an einen einsamen Platz am Strand des Meeres zurückzog, hatte er eine entscheidende Begegnung. Doch lassen wir Justin selbst erzählen:

In meiner Ratlosigkeit entschloss ich mich, die Platoniker aufzusuchen, denn auch sie hatten einen großen Ruf. Da sich nun erst seit kurzem in unserer Stadt ein Gelehrter aufhielt, der unter den Platonikern eine hervorragende Stellung einnahm, verkehrte ich so oft wie möglich mit ihm; auch machte ich Fortschritte und vervollkommnete mich so viel wie möglich Tag für Tag. Sehr interessierte mich die Geistigkeit des Unkörperlichen, das Schauen der Ideen gab meinem Denken Flügel, in kurzer Zeit wähnte ich, weise zu sein, und in meiner Beschränktheit hegte ich die Hoffnung, unmittelbar Gott zu schauen; denn dies ist das Ziel der Philosophie Platos. In dieser Lage fasste ich einmal den Entschluss, völlige Ruhe zu genießen und der Menschen Pfad zu meiden, und so ging ich an einen Platz in der Nähe des Meeres. Als ich mich aber jenem Ort, wo ich für mich sein wollte, näherte, folgte mir in geringer Entfernung ein alter Mann von gewinnendem Äußerem und von mildem, ernstem Charakter. Ich wandte mich zu ihm um, blieb stehen und schaute ihn scharf an.

Es folgt ein langes Gespräch darüber, was unter der Wahrheit, die die Philosophen suchen, zu verstehen ist, und wie sie sich finden lässt. Das Ergebnis ist vernichtend. Gegen Ende des Gesprächs fragt Justin enttäuscht:

Wen soll nun einer noch zum Lehrer nehmen, oder welches Lehrsystem kann ihm Nutzen bringen, wenn nicht einmal in dem des Plato und Pythagoras die Wahrheit liegt?

Der weise Alte verweist Justin an prophetische Männer, die die Wahrheit gesehen haben. Es sind die Propheten des Alten Bundes.

Es ist schon lange her, da lebten Männer, älter als alle diese sogenannten Philosophen, sie waren glücklich, gerecht und von Gott geliebt. Sie predigten im Geiste Gottes, sie sagten die Zukunft voraus, das nämlich, was nun tatsächlich eintritt. Propheten nennt man sie. Sie allein sind es, welche die Wahrheit gesehen und sie den Menschen, ohne dieselben zu fürchten und ohne ihnen zu schmeicheln, frei von Ruhmsucht verkündet haben. Sie haben ja nur das gelehrt, was sie, vom Heiligen Geist erfüllt, gehört und gesehen hatten. Ihre Schriften sind noch jetzt erhalten, und wer sich mit ihnen abgibt und ihnen Glauben schenkt, kann sehr viel davon profitieren, wenn es sich um Ursprung und Ende, überhaupt um den notwendigen Wissensbestand eines Philosophen handelt. Denn sie haben damals nicht erst Beweise zu Hilfe genommen, um damit ihre Lehren darzutun; sie verzichteten geradezu auf alle Beweisführung und sind dennoch glaubwürdige Zeugen der Wahrheit.
Die Geschichte der Vergangenheit und Gegenwart ist es, welche zwingt, ihren Worten zuzustimmen. Jedoch auch wegen der Wundertaten, welche sie wirkten, waren sie glaubwürdig, da sie Gott, den Weltschöpfer und Vater, verherrlichten und seinen von ihm kommenden Sohn Christus verkündeten. Bete aber, dass dir vor allem die Tore des Lichtes geöffnet werden! Denn niemand kann schauen und verstehen, außer Gott und sein Christus gibt einem die Gnade des Verständnisses.

Christentum als wahre Philosophie - Justins Bekehrung

Es ist erstaunlich, dass der weise Alte Justin nicht auf die Evangelien, sondern die Schriften der Propheten des Alten Bundes hinweist. Sie sind der Weg, der zu Christus führt. Auch Christus hat den Aposteln die Augen für den Sinn der Schrift geöffnet. In Christus erkennt Justin schließlich den Logos. Die Lehren der Philosophen bergen Keime der Wahrheit des göttlichen Logos in sich und können damit auch zu diesem führen, wenn man sie recht benutzt. Allein das ist es, was Justin noch von ihnen gelten lässt.

Christ zu sein, das ist der Gegenstand meines Gebetes und meines angestrengten Ringens. Nicht, weil die Lehren Platons und anderer Philosophen den Lehren Christi fremd sind, sondern weil sie ihm nicht in allem gleichkommen. Soweit diese Lehren Anteil an dem in Keimen ausgestreuten göttlichen Logos und für das diesem Verwandte ein Auge haben, tun sie treffliche Aussprüche. Da sie sich aber in wesentlichen Punkten widersprechen, zeigen sie damit, dass sie es nicht zu einem weit blickenden Wissen und zu einer unwiderlegbaren Erkenntnis gebracht haben. Alles, was also bei den Philosophen trefflich gesagt ist, ist Eigentum von uns Christen.

Der Gott des Weltalls ist den Menschen allein durch sein Wort bekannt, den Logos, der die Brücke zwischen dem Vater und der Welt ist. Alles, was Dichter, Philosophen oder Schriftsteller an Wahrheit besitzen, ist ein Strahl seiner lichten Gegenwart. Der Logos lenkt nicht nur die Geschichte Israels, sondern jede aufrichtige Suche nach Gott. Die Lehre der Christen aber umschließt all das, was die Philosophen als wahr erkannt haben. Jeder der Philosophen hat nur Samenkörner des sich verstreuenden Logos aufgesammelt. In Jesus Christus aber ist der Logos, das Wort Gottes, Fleisch geworden und hat der Welt die wahre Philosophie verkündet.
Justin verwendet mit dem Wort Logos einen Ausdruck der griechischen Philosophie. Doch während man dort den Logos dem wahren und einen Gott untergeordnet sah, betont Justin die Gottgleichheit des Logos. Es wird die Herausforderung der folgenden Jahrzehnte sein, das Verhältnis der drei göttlichen Personen zueinander, das hier aufscheint, zwar mit den Begriffen griechischer Philosophie, aber nicht gemäß deren Denken zu erklären.
Nach seiner Bekehrung zum Christentum gründet Justin in Rom eine Philosophenschule, um dort die wahre christliche Philosophie zu lehren. Von seinen Werken sind uns drei erhalten geblieben, der Dialog mit dem Juden Tryphon, aus dem auch die oben geschilderte Geschichte seines Suchens stammt, und zwei Apologien.

Justin

Justins Apologie - Verteidigung des Christentums

In den Apologien verteidigt Justin den Glauben der Christen gegen völlig abwegige Vorwürfe. Sie sind beide dem Kaiser Antonius Pius gewidmet, den er davon überzeugen will, dass die Christen keine Feinde, sondern vielmehr eine Stütze des Römischen Reiches. Den Vorwurf der Unzucht und gar des Kannibalismus bei christlichen Versammlungen widerlegt er damit, dass die Bekehrung zum Christentum ja geradezu eine Abkehr von allem unsittlichen Verhalten bedeutet. Das Christentum überwindet allen Hass und alle Feindschaft zwischen Menschen und Völkern.

Hatten wir früher an unzüchtigen Dingen Gefallen,
so haben wir jetzt nur mehr an der Enthaltsamkeit Gefallen.
Gaben wir uns mit Zauberkünsten ab,
haben wir uns nun dem guten und ungezeugten Gott geweiht.
Haben wir früher Geld und Besitz über alles geschätzt,
so stellen wir jetzt, was wir haben, in den Dienst
der Allgemeinheit und teilen mit den Bedürftigen. ...
Wir leben jetzt nach Christi Erscheinen als Tischgenossen
zusammen und beten für unsere Feinde.

Wir erfahren durch Justin einiges darüber, wie die Christen seiner Zeit den Glauben gelebt haben. Der Sonntag ist der Tag christlicher Versammlung, "weil er der erste Tag ist, an welchem Gott durch Umwandlung des Urstoffes die Welt schuf und weil Jesus Christus, unser Erlöser, an diesem Tag von den Toten auferstanden ist." Von Justin ist uns eine detaillierte Schilderung des frühchristlichen Sonntagsgottesdienstes überliefert. Er beginnt mit einer Lesung aus den Aufzeichnungen der Apostel oder den Schriften der Propheten. Dann folgt eine Auslegung dieser Worte.

Darauf erheben wir uns alle zusammen und senden Gebete empor. Und wenn wir mit dem Gebet zu Ende sind, werden Brot, Wein und Wasser herbeigebracht, der Vorsteher spricht gleichermaßen Gebete und Danksagungen mit aller Kraft, und das Volk stimmt ein, indem es das Amen sagt. Darauf findet die Ausspendung statt, jeder erhält seinen Teil von dem Konsekrierten, den Abwesenden aber wird er durch die Diakone gebracht.

Bereit, für die Wahrheit zu sterben - Justins Martyrium

Justin konnte mit seinen Worten die Verdächtigungen gegen das Christentum nicht ausräumen. Zu zahlreich waren seine Feinde, denen die Christen ein Dorn im Auge waren. Es wird noch lange dauern, bis sich Christen zu ihrem Glauben bekennen können, ohne den Tod fürchten müssen. Doch ist nicht auch das eine Zeichen für die Wahrheit des Christentums?

Niemand glaubte dem Sokrates so, dass er für seine Lehre zu sterben bereit war. Aber um Christi willen haben selbst Handwerker und Unwissende Angst und Tod verachtet.

Schließlich wurde es auch Justin zuteil, für sein Bekenntnis in den Tod zu gehen. Ein drittklassiger Philosoph hat ihn bei Kaiser Marc Aurel, dem Philosophen auf dem Kaiserthron, angezeigt. Dieser war nicht bereit, die Verteidigung des Christentums durch Justin anzunehmen.
Vor seiner Hinrichtung wurde er gefragt: "Welcher Wissenschaft widmest du dich?" Und Justin antwortete: "Ich habe nacheinander alle Wissenschaften studiert. Zuletzt habe ich mich der wahren Lehre der Christen verschrieben."
Justin wurde zusammen mit seinen Schülern zur Auspeitschung und dann zum Tod durch Enthauptung verurteilt. Bis heute ziert der Ehrentitel "der Märtyrer" seinen Namen.