Die Heiligen

1.10. Therese v. Lisieux

Therese von Lisieux

Theresia vom Kinde Jesus (von Lisieux)
1873-1897
Ordensfrau
Kirchenlehrerin

Therese von Lisieux

Ich möchte heute etwas erzählen über eine Heilige, die auch für uns heute von großer Bedeutung ist. Es ist die "kleine Therese". Sie wurde am 2. Januar 1873 in Alencon in der Normandie geboren. Gestorben ist sie nach einer schweren Erkrankung am 6. April 1897. 24 Jahre nur wurde sie alt und doch waren diese wenige Lebensjahre eine erfüllte Zeit. Ihre besondere Berufung war es, die Liebe Gottes zu kennen und zu offenbaren. Die Sendung der kleinen Heiligen ist ein Sich-Ergießen der göttlichen Liebe in die Seelen in der Weise, die Gott für unsere Zeit wünscht. Bevor wir aber näher auf diesen Punkt eingehen, möchte ich kurz ihr Leben vorstellen.
Therese ist das neunte und letzte Kind der Familie Martin. Als solches wird sie von ihren Eltern und Schwestern sehr geliebt und umsorgt. Schmerzlich ist es für sie, dass sie im Alter von vier Jahren ihre Mutter, die an Knochenkrebs litt, verloren hat. Nach dem Tod der Mutter zieht die Familie nach Lisieux. Als Ersatzmutter wählt sich Therese ihre Schwester Pauline mit der sie eine innige Geschwisterliebe verbindet. Als nach dem Eintritt ihrer älteren Schwester Marie auch Pauline 1883 in den Karmel von Lisieux eintritt, ist Therese tief erschüttert und fällt in eine schwere unerklärliche Krankheit. Ärzte diagnostizieren eine Neurose. Ihr Vater erbittet eine Meß-Novene in einem Marienwallfahrtsort. Daraufhin ereignet sich ein Wunder, die Marienstatue auf der Kaminkonsole des Elternhauses belebt sich und lächelt. Dies ist der erste Schritt zur Heilung Thereses.
Die endgültige Heilung Thereses ereignet sich in der Weihnachtsgnade des Jahres 1886. Therese war immer ein sehr empfindsames Kind, das man gleichsam mit Samthandschuhen anfassen musste und sie war sehr auf Zuwendung bedacht. Schnell wurde sie traurig und brach in Tränen aus. Zu Weihnachten war es üblich, dass die Kinder nach der Mitternachtsmesse in ihren Schuhen, die sie in den Kamin gestellt hatten, Geschenke fanden. In diesem Jahr sagte der Vater zu Thereses Schwester Celine, dass er sehr hofft, dass es nun das letzte Jahr so geht, denn mit einer Vierzehnjährigen bräuchte man Weihnachten nicht mehr spielen wie mit einem Kind. Celine befürchtete schon das Schlimmste und erwartete, dass Therese wieder tieftraurig wird. Doch an diesem Weihnachtsfest ereignet sich in Therese eine innere Wandlung und plötzliche Reife. Ein "Sturzbach von Licht" bricht in sie ein, wie sie sagt. Sie hört auf zu Weinen, ihre seelische Verfassung ist geheilt und sie ist wieder Herr ihrer selbst. Sie geht mit neuem Eifer an ihre Studien, die ihr eine Privatlehrerin erteilt.
1887 erkennt Therese ihre Berufung für den Karmel. Zum nächsten Weihnachtsfest, mit 15 Jahren, möchte sie dort eintreten. Das ist nur mit einer besonderen Erlaubnis möglich. Nach langem Bitten erteilt am 29. Mai ihr Vater ihr die Erlaubnis, in den Karmel einzutreten. Der Seelsorger des Karmel in Lisieux spricht sich jedoch gegen einen Eintritt Thereses aus, verweist sie aber an den Bischof. Dieser zögert und will nicht so recht seine Erlaubnis geben. Daraufhin beschliesst Therese, den Papst aufzusuchen und ihn um Erlaubnis zu bitten. Sie fährt mit ihrem Vater nach Rom und erhält am 29. November eine Privataudienz bei Leo XIII. Es ist eine dramatische Szene, wie Therese dem Papst weinend zu Füßen liegt und von den Schweizergardisten mit Gewalt vom Papst weggezerrt werden muss. Doch Thereses Bitten hatte Erfolg. Der Papst verweist sie an die zuständigen Vorgesetzten vor Ort und diese erlauben ihr nun tatsächlich den Eintritt in den Karmel. Am 9. April 1888 überschreitet sie die Schwelle der Klausur.
In dieser Zeit ereignen sich noch zwei weitere Gnaden: Therese ist betroffen, auf einem Bildchen in ihrem Gebetbuch die Blutstropfen zu sehen, die von einer Hand des gekreuzigten Herrn zur Erde fallen. Da fasst sie den Entschluß, im übertragenen Sinn auf Kalvaria, dem Ort der Kreuzigung Jesu zu bleiben, um die Blutstropfen Jesu aufzufangen und sie auf die Sünder auszugießen. Sie will im Karmel ganz besonders für die Priester und Sünder beten.
Und noch etwas ereignet sich: Sie liest in einer Zeitung von einem Mörder, der hingerichtet werden soll und der sogar den Beistand eines Priesters zurückweist. Therese betet inständig für disen Verbrecher, dass er vor seinem Tod wenigstens ein Zeichen der Reue setzen solle. Auf dem Schafott ergreift dieser dann tatsächlich das Kruzifix und küsst es dreimal. Das ist für Therese die äußere Bestätigung ihres inneren Lichtes, die sie in ihrer Überzeugung bestärkt. Sie hat Gott als Liebe entdeckt und nun hat sie dafür den Beweis: Gott ist Liebe.

Der liebe Gott hat viel Liebe zu verschenken, aber er kann es nicht. Jeder präsentiert ihm seine Verdienste, und das ist so wenig ... Gott, gib mir diese Liebe! Ich bin damit einverstanden, Opfer der Liebe zu sein, das heißt alle Liebe zu empfangen, welche die anderen nicht annehmen, weil sie nicht zulassen, dass du sie liebst, wie du es möchtest.

Bei ihrem Eintritt in den Karmel nimmt sie den Namen Schwester Therese vom Kinde Jesus an. Im Karmel erfährt sie die Erziehung der strengen Priorin Mutter Marie de Gonzague. Therese, das verwöhnte Kind, das nicht an Arbeit gewohnt war und zu Hause für jeden kleinen Handgriff Dankbarkeit und Anerkennung erwartete und wenn sie diese nicht erhielt in Tränen ausbrach, gewöhnt sich nur schwer daran, gewissenhaft all die Arbeiten auszuführen, die im Kloster anfallen. Beim Kehren der Klostergänge lässt sie die Ecken aus, weil sie sich so vor Spinnen ekelt. Für dies und ähnliches wird sie gescholten, bis sie schließlich alles gut macht. Sie lernt es, einfach und bescheiden zu leben.

Therese von Lisieux stellte sich die Frage, nach ihrem Platz in der Kirche. Über ihre Berufung als Karmelitin hinaus spürte sie plötzlich noch andere Berufungen. Sie wäre gerne Krieger, Kreuzfahrer, Priester, Apostel, Kirchenlehrer, Martyrer ... geworden. Sie fragt sich, wie sie diese vielen Berufungen leben könne.
Da liest sie im Ersten Korintherbrief, dass nicht alle alles zugleich sein können, sondern dass es im Leib der Kirche viele verschiedene Glieder geben muss. Doch sie liest dort auch von den vollkommensten Gaben, nach denen man streben soll. Und sie erkennt, dass die Liebe als höchste aller Gaben alles in sich umschließt. Denn alles andere ist nichts, wenn es nicht in der Liebe geschieht, wie Paulus im Hohenlied der Liebe sagt. So fand sie Ruhe. Sie sagt:

Ich begriff, dass die Liebe alle Berufungen in sich schließt, dass die Liebe alles ist, dass sie alle Zeiten und Orte umspannt, mit einem Wort: dass sie ewig ist!

Da rief sie:

O Jesus, meine Liebe, endlich habe ich meine Berufung gefunden, meine Berufung ist die Liebe! Ja, ich habe meinen Platz in der Kirche gefunden, und dieser Platz, mein Gott, den hast du mir geschenkt. Im Herzen der Kirche, meiner Mutter, werde ich die Liebe sein, so werde ich alles sein!

Diese Liebe Gottes ist es, die sie für ihr Leben entdeckt und wovon sie immer spricht. Keine hochgeistigen theologischen Erkenntnisse sind es, die sie zur Kirchenlehrerin werden ließen, sondern ihre Botschaft von diesem kleinen Weg, der im sich Beschenken-Lassen von der Liebe und dem Erbarmen Gottes besteht.
Im Kloster hatte man sie gern, wegen ihrer Liebenswürdigkeit und weil sie es verstand, die anderen aufzumuntern und mit ihrem Lächeln zu erfreuen. Gegen Ende ihres Lebens wird sie von starken Versuchungen und Glaubenszweifeln heimgesucht. Sie will in ihrem Tod ganz mit Christi Leiden verbunden sein, der am Kreuz auch diese Verlassenheit gespürt hat, als er betete: "Mein Gott, warum hast du mich verlassen." So hatte sie bis zum letzten Augenblick zu leiden und ihr letzter Akt der Liebe steigt in die Nacht empor, eine ganz dunkle Nacht, in der es die Versuchungen des Teufels gibt und wo es den Anschein hat, die ganze Hölle versammle sich um ihr Bett.
Das ist die Gnade, die Gott ihr im letzten Augenblick gibt, um ihre Liebe zu vollenden. Je größer die Versuchungen sind, denen wir zu widerstehen haben, desto größer kann unsere Liebe sein und umso mehr wird uns Gott beschenken. Gott erlaubt das Eingreifen des Dämons, damit der Akt der Liebe noch vollkommener wird. Bei Therese verwandeln sich die Qualen in den Blick der Liebe zusammen mit dem Wort:

Mein Gott, ich liebe dich!

Daraufhin stirbt sie.

Therese von Lisieux

Papst Johannes Paul II. hat Therese von Lisieux zur Kirchenlehrerin erhoben. Was Therese geschrieben hat, sind einfache Worte, in denen sie über ihren Glauben und ihr Leben erzählt. Es ist kein theologisches System sondern der kleine Weg der Liebe, den uns Therese lehrt. Doch die Kirche lässt diesen einfachen Worten die gleiche Bedeutung zukommen, wie den Lehren der großen Theologen.
Therese schreibt viel über das Gebet. Vor allem zeigt sie hier immer wieder ihre Schwachheit. Sie kann keine schweren Gebetsübungen verrichten. Darauf kommt es für Jesus auch nicht an. Was sie Jesus schenkt ist ihre Seele, damit er selbst dort einzieht und in ihr wirkt, was ihm gefällt. Doch kann sie selbst nicht durch ihre eigene Frömmigkeit Jesus dort eine würdige Wohnung bereiten. Daher bittet sie die Muttergottes, die Engel und die Heiligen, in ihrer Seele den Platz für Jesus herzurichten. Therese stellt ihre Seele zur Verfügung, alles andere kann sie nicht leisten, sondern sich nur schenken lassen.
Therese schreibt, wie sie sich auf die Hl. Kommunion vorbereitet:

Ich stelle mir meine Seele als einen freien Platz vor und bitte die Seligste Jungfrau, allen Schutt fortzuräumen, der verhindern könnte, dass er wirklich frei sei; dann flehe ich sie an, ein großes, des Himmels würdiges Zelt aufzurichten, es mit ihrem eigenen Schmuck zu zieren, und dann lade ich alle Heiligen und Engel ein, zu kommen und ein wunderbares Konzert zu geben. Wenn dann Jesus in mein Herz hinabsteigt, so ist er, glaube ich, zufrieden, so wohl empfangen zu werden, und ich bin es dann auch.

Jesus betet für seine Jünger:

Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein. (Joh 17,21)

Die heilige Therese von Lisieux machte bei ihrer ersten heiligen Kommunion in ganz besonderer Weise die Erfahrung des Einsseins mit Gott in der Liebe. Sie schreibt von einer Verschmelzung, einer Fusion mit dem Geliebten, mit Jesus. Aus Zweien ist eine untrennbare Einheit geworden. Sie hat sich ganz verwandelt in die Gestalt des Geliebten. Das ist für sie das höchste Glück und die größte Freude.

Oh, wie zärtlich war der erste Kuss, den Jesus meiner Seele gab! Ja, es war ein Kuss der Liebe! Ich fühlte mich geliebt, und auch ich sagte: Ich liebe Dich und schenke mich Dir auf ewig! Keine Bitte richtete Jesus an mich, und kein Opfer forderte Er von mir. Schon seit langem hatten Er und die kleine Theresia einander betrachtet und verstanden... An diesem Tag aber war unsere Begegnung kein bloßer Anblick mehr, sondern es war ein Verschmelzen. Wir waren nicht mehr zwei, sondern wie ein Wassertropfen sich im Schoße des Ozeans verliert, so war Theresia verschwunden. Jesus allein blieb. Er war der Herr, der König! ... Von Freude, von tiefer und unaussprechlicher Freude war mein Herz erfüllt.

Über das Gebet schreibt Therese:

Therese von Lisieux
Wie groß ist doch die Macht des Gebetes! Man könnte es einer Königin vergleichen, die allzeit freien Zutritt hat beim König und alles erlangen kann, worum sie bittet. Es ist durchaus nicht nötig, ein schönes, für den entsprechenden Fall formuliertes Gebet aus einem Buch zu lesen, um Erhörung zu finden; träfe das zu ... ach! wie wär` ich zu bedauern! ... Neben dem göttlichen Offizium, das zu beten ich sehr unwürdig bin, habe ich nicht den Mut, mich zum Suchen schöner Gebete in den Büchern zu zwingen, das macht mir Kopfweh, es gibt ihrer so viele! ... und dann ist ein jedes schöner als das andere ... Ich könnte nicht alle beten, und da ich nicht weiß, welches auswählen, mache ich es wie die Kinder, die nicht lesen können, ich sage dem Lieben Gott ganz einfach, was ich ihm sagen will, ohne schöne Phrasen zu machen, und Er versteht mich immer ... Für mich ist das Gebet ein Schwung des Herzens, ein einfacher Blick zum Himmel empor, ein Schrei der Dankbarkeit und der Liebe, aus der Mitte der Prüfung wie aus der Mitte der Freude; kurz, es ist etwas Großes, Übernatürliches, das mir die Seele ausweitet und mich mit Jesus vereint. ...
Ganz allein den Rosenkranz zu beten kostet mich mehr Überwindung, als das Anlegen eines Bußinstruments ... Ich bin mir bewußt, ihn so schlecht zu beten! Ich kann mich noch so sehr bemühen, die Geheimnisse des Rosenkranzes zu betrachten, es gelingt mir nicht, meinen Geist zu sammeln ... Lange war ich untröstlich über diesen Mangel an Andacht, der mich verwunderte, denn ich liebe die Mutter Gottes so sehr, daß es mir leicht fallen sollte, zu ihren Ehren Gebete zu sprechen, die ihr wohlgefallen. Jetzt betrübe ich mich weniger, ich denke, die Himmelskönigin wird als meine Mutter meinen guten Willen sehen und sich damit zufrieden geben.
Manchmal, wenn mein Geist sich in so großer Trockenheit befindet, daß es mir unmöglich ist, einen Gedanken zu fassen, der mich dem Lieben Gott vereinte, bete ich sehr langsam ein Vater Unser und darauf den Englischen Gruß; dann entzücken mich diese Gebete, sie nähren meine Seele weit mehr, als wenn ich sie hastig hundertmal hergesagt hätte ...

Das besondere "Lehre" der heiligen Therese besteht in dem "kleinen Weg", den Weg der Liebe in den kleinen Dingen des Alltag.

Ich habe immer danach verlangt, eine Heilige zu werden; aber ach! wenn ich mich mit den Heiligen verglich, stellte ich fest, dass zwischen ihnen und mir derselbe Unterschied besteht wie zwischen einem Berg, dessen Gipfel sich in die Himmel verliert, und einem unscheinbaren Sandkorn, über das die Füße der Leute achtlos hinwegschreiten; statt zu verzagen, sagte ich mir:
Der Liebe Gott flößt keine unerfüllbaren Wünsche ein, ich darf also trotz meiner Kleinheit nach Heiligkeit streben; mich größer machen ist unmöglich; ich muss mich ertragen, wie ich bin, mit all meinen Unvollkommenheiten; aber ich will ein Mittel suchen, in den Himmel zu kommen, auf einem kleinen Weg, einem recht geraden, recht kurzen, einem ganz neuen kleinen Weg.
Wir leben in einem Jahrhundert der Erfindungen, man nimmt sich jetzt die Mühe nicht mehr, die Stufen einer Treppe emporzusteigen, bei den Reichen ersetzt ein Fahrstuhl die Treppe aufs vorteilhafteste. Auch ich möchte einen Aufzug finden, der zu Jesus emporhebt, denn ich bin zu klein, um die beschwerliche Treppe der Vollkommenheit hinaufzusteigen.
Ich suchte daher in den heiligen Büchern nach einem Hinweis auf den Fahrstuhl, den ich begehrte, und ich stieß auf die aus dem Munde der Ewigen Weisheit kommenden Worte: "Ist jemand ganz klein, so komme er zu mir." (Spr 9,4) So kam ich denn, ahnend, dass ich gefunden hatte, was ich suchte.
Weil ich wissen wollte, o mein Gott! was du dem ganz Kleinen tätest, der deinem Ruf folgen würde, setzte ich meine Erkundungen fort und fand: - "Wie eine Mutter ihr Kind liebkost, so will ich euch trösten; an meiner Brust will ich euch tragen und auf meinen Knien wiegen!" (Jes 66,13.12)
Ach! niemals sind zartere, lieblichere Worte erfreuend an meine Seele gedrungen; der Fahrstuhl, der mich bis zum Himmel emporheben soll, Deine Arme sind es, o Jesus!
(aus: Therese von Lisieux, Selbstbiographie, 2003, S. 214 f.)