Die Heiligen

11.12. Daniel d.Stylit

Daniel der Säulensteher

Daniel der Säulensteher
ca. 409-493

Ein Säulensteher, auch Stylit genannt, ist ein Heiliger, der auf uns heute befremdlich wirken mag und der auch nicht zur Nachahmung empfohlen ist. Es heißt, dass bereits im sechsten Jahrhundert, als in Trier ein Diakon diesem Vorbild folgen wollte, der Bischof selbst ihm befahl, von der errichteten Säule herabzusteigen und dann diese kurz und klein schlagen ließ.
Doch zu ihrer Zeit hatten diese Männer eine große Bedeutung. Ihre ganz besondere Form der Askese wurde zu einem Zeichen und mit ihren Worten ermahnten sie das Volk und auch die Herrscher. Vielleicht können wir ihr Erscheinen mit dem Auftreten Johannes des Täufers in der Wüste vergleichen. Wie er waren sie in höchstem Maße Asketen, die sich selbst durch strenge Buße läuterten und so frei wurden, für die Wahrheit einzutreten.
Auf der kleinen Fläche einer hohen Säule auf sich allein gestellt, Wind und Wetter schutzlos ausgeliefert, dem Himmel ganz nah. Wer sich so vor Gott stellt, der steht schutzlos vor dem Höchsten, liefert sich ihm vollkommen aus, lässt sich bis in seine Tiefe läutern vom brennenden Feuer Gottes. Vom heiligen Simeon, den größten unter den Säulenstehern, heißt es:
Die Unbedingtheit dieses Heiligen flößte den Menschen zunächst Furcht ein. Dann aber kamen sie, aus der Umgebung und von fern, aus dem gesamten Römischen Reich, eine unaufhaltsame Bewegung, ein endloser Strom von Gläubigen, Bekehrungswilligen, Schaulustigen, Händlern. Simeon erteilte Ratschläge, schlichtete Streitfälle, er war ein geduldiger Zuhörer. Ein religiöser Jahrmarkt baute sich auf dem Hügel auf. Frauen ließ er nicht heran. Der unmittelbare Umkreis der Säule galt als Klosterbereich.

Neben Simeon gehört Daniel, dessen Gedenktag wir heute feiern, zu den großen unter den Säulenstehern.
Daniel wurde um das Jahr 409 in Syrien geboren, trat schon mit zwölf Jahren in ein Kloster und zeichnete sich dort durch sein Streben nach Vollkommenheit aus. Als ihn aber seine Mitbrüder zum Abt des Klosters wählen wollten, floh er zunächst zu Simeon, den er bereits früher kennengelernt hatte. Doch er war noch nicht dazu bereit, in die Nachfolge dieses Heiligen einzutreten.
Daniel machte eine Wallfahrt ins Heilige Land und ließ sich schließlich für neun Jahre in den Ruinen eines verfallenen Tempels in der Nähe von Konstantinopel nieder. Dann endlich war er bereit, dem Vorbild des heiligen Simeon, der im Jahr 459 verstorben war, nachzueifern. Er zog sich auf einen Berg, in der Nähe von Konstantinopel in Richtung auf das Schwarze Meer hin zurück, wo ihm einer seiner Freunde eine ganz eigene Bleibe errichtete.
Er ließ zwei Säulen aufrichten, welche durch eiserne Stangen miteinander verbunden waren und setzte darauf eine andere kleine Säule mit einem Fass, das mit einer Balustrade versehen war. Dies war bis zu seinem Tod die Wohnung des hl. Daniel, die er nur wegen wichtiger Angelegenheiten verließ. Im Laufe der Zeit wurde diese Doppelsäule noch durch zwei weitere höhere Säulen ergänzt.
Dort oben war er schutzlos heftigen Winden ausgeliefert, im Sommer sengender Hitze, im Winter klirrender Kälte. Er ernährte sich von wilden Kräutern und Wurzeln, meistens verzichtete er ganz auf Nahrung. Zudem schwollen ihm vom immerwährenden Stehen die Füße an und es bildeten sich Geschwüre. Doch er setze diese Lebensweise bis zu seinem achtzigsten Lebensjahr fort.
Von dort oben predigte er. Zudem besaß Daniel die Gabe der Prophetie und soll auch Wunder gewirkt haben. Menschen, die zu seiner Säule hinaufstiegen, legte er die Hände auf und heilte sie. Unter den Ratsuchenden, die zu seiner Säule pilgerten, waren auch die Kaiser Leo und Zeno.

Da seine Säule nahe bei der Hauptstadt Konstantinopel lag, wurde er auch immer wieder in religiösen und politischen Streitigkeiten um Rat gefragt. Daniel wurde schließlich vom Bischof von Konstantinopel zum Priester geweiht. Er starb am 11. Dezember 493 auf seiner Säule unter dem Beistand des Patriarchen Euphemius.

Von Rainer Maria Rilke stammt das Gedicht "Der Stylit", mit dem der Dichter auf seine ihm eigene Weise das Leben dieser heiligen Männer beschreibt:

Völker schlugen über ihm zusammen,
die er küren durfte und verdammen;
und erratend, dass er sich verlor,
klomm er aus dem Volksgeruch mit klammen
Händen einen Säulenschaft empor,

der noch immer stieg und nichts mehr hob,
und begann, allein auf seiner Fläche,
ganz von vorne seine eigne Schwäche
zu vergleichen mit des Herren Lob;

und da war kein Ende: er verglich;
und der Andre wurde immer größer.
Und die Hirten, Ackerbauer, Flößer
sahn ihn klein und außer sich

immer mit dem ganzen Himmel reden,
eingeregnet manchmal, manchmal licht;
und sein Heulen stürzte sich auf jeden,
so als heulte er ihm ins Gesicht.
Doch er sah seit Jahren nicht,

wie der Menge Drängen und Verlauf
unten unaufhörlich sich ergänzte,
und das Blanke an den Fürsten glänzte
lange nicht so hoch hinauf.

Aber wenn er oben, fast verdammt
und von ihrem Widerstand zerschunden,
einsam mit verzweifeltem Geschreie
schüttelte die täglichen Dämonen:
fielen langsam auf die erste Reihe
schwer und ungeschickt aus seinen Wunden
große Würmer in die offnen Kronen
und vermehrten sich im Samt.

"Erratend, dass er sich verlor", der Heilige will sich nicht verzehren im Getriebe der Welt, nicht alles gewinnen, sich selbst aber verlieren. Er will ganz sein vor Gott, will sich selbst durch und durch erkennen - will sich von Gott durch und durch erkennen lassen. Deshalb steigt er auf die Säule, um unter Gottes Himmel ganz mit Gott allein zu sein.
Er vergleicht "seine eigne Schwäche ... mit der Herren Lob". So schutzlos Gott ausgeliefert, erkennt der Mensch vor allem seine eigene Schwäche. Was ist der Mensch, dass er Gott loben kann, den erhabenen, vor dem die Chöre der Engel stehen. Was ist dagegen das Loblied einer Menschenstimme? Muss der Mensch verstummen - klein werden, ja vergehen vor dem Höchsten?
"Mit dem ganzen Himmel reden", bis einem von Gott nichts mehr trennt, bis alle Schutzmauern, die wir uns errichten, eingerissen sind. Frei jeder äußeren Mauer fällt auch irgendwann die innere Mauer. Schmerzhaft, so dass es den Menschen fast vernichtet. Doch danach ist das Leben anders, ganz neu, in einer vorher ungeahnten Nähe zu Gott, wenn die Dämonen, die beständig diesen Sieg des Menschen über die eigene Schwäche verhindern wollen, besiegt sind. Dann erkennt der Mensch die Größe, die Gott ihm geschenkt hat - Bild Gottes sein zu dürfen.
Doch dann bleibt mehr als Geschwüre und Würmer, wie Rilke schreibt. Dann kann ein solcher Mensch zum Segen werden für andere, durch die Gnaden, die Gott ihm verleiht. Doch nicht für die schaulustige Menge, die wohl nur die Würmer sieht, sondern für die Gottsuchenden, denen er Rat und Weisung gibt und Heilung für die kranke Seele.