Palmsonntag

vom Leiden Christi

Prozession

Joh 12,12-16

In jener Zeit hörte die Volksmenge, die sich zum Osterfest eingefunden hatte, Jesus komme nach Jerusalem. Da nahmen sie Palmzweige, zogen hinaus, um ihn zu empfangen, und riefen: Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn, der König Israels!
Jesus fand einen jungen Esel und setzte sich darauf, wie es in der Schrift heißt:
Fürchte sich nicht, Tochter Zion! Siehe, dein König kommt; er sitz auf dem Fohlen einer Eselin.
Das alles verstanden seine Jünger zunächst nicht; als Jesus aber verherrlicht war, da wurde ihnen bewusst, dass es so über ihn in der Schrift stand und dass man so an ihm gehandelt hatte.

Oder gemäß dem Lesejahr:

Lesejahr A: Mt 21,1-11

Lesejahr B: Mk 11,1-10

Lesejahr C: Lk 19,28-40

Erste Lesung

Jes 50,4-7

Gott, der Herr, gab mir die Zunge eines Jüngers, damit ich verstehe, die Müden zu stärken durch ein aufmunterndes Wort. Jeden Morgen weckt er mein Ohr, damit ich auf ihn höre wie ein Jünger.
Gott, der Herr, hat mir das Ohr geöffnet. Ich aber wehrte mich nicht und wich nicht zurück. Ich hielt meinen Rücken denen hin, die mich schlugen, und denen, die mir den Bart ausrissen, meine Wangen. Mein Gesicht verbarg ich nicht vor Schmähungen und Speichel.
Doch Gott, der Herr, wird mir helfen; darum werde ich nicht in Schande enden. Deshalb mache ich mein Gesicht hart wie einen Kiesel; ich weiß, dass ich nicht in Schande gerate.

Zweite Lesung

Phil 2,6-11

Christus Jesus war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein,
sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich.
Sein Leben war das eines Menschen;
er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.
Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen,
damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu
und jeder Mund bekennt: "Jesus Christus ist der Herr" - zur Ehre Gottes, des Vaters.

Evangelium

Passion

Am Palmsonntag wird die Passionsgeschichte aus einem der drei synoptischen Evangelien vorgetragen gemäß dem entsprechenden Lesejahr:

Lesejahr A: Mt 26,14-27,66

Lesejahr B: Mk 14,1-15,47

Lesejahr C: Lk 22,14-23,56

Die Texte dazu finden Sie auf der folgenden Seite zur Leidensgeschichte.
Palmsonntag

Der Palmsonntag ist der letzte Sonntag der Fastenzeit. Die vollständige Benennung lautet: Palmsonntag vom Leiden Christi. Dieser Name macht deutlich, dass in der Liturgie dieses Tages zwei Aspekte verschmelzen, nämlich das Gedächtnis des Einzugs Jesu in Jerusalem und das Gedächtnis seines Leidens.
In der Liturgie ist die Zweiteilung des heutigen Tages deutlich erkennbar. Der Hauptgottesdienst beginnt mit der Feier des Einzugs Jesu nach Jerusalem. Dazu versammeln sich je nach Ortsbrauch der Priester und die Ministranten oder auch die ganze Gemeinde im Eingangsbereich der Kirche oder vor der Kirche. Dort werden die Palmzweige geweiht und das Evangelium vom Einzug Jesu in Jerusalem gelesen. Es folgt eine Prozession oder ein feierlicher Einzug in die Kirche. Wie damals die Menschen in Jerusalem, so grüßen wir auch heute unseren Herrn und König, gehen ihm mit Palmzweigen voran und singen ihm Hymnen und Lieder.
Der Brauch einer Prozession mit Palm- oder Ölzweigen ist schon im 5. Jahrhundert in Jerusalem bekannt und hat sich bald in den Kirchen des Ostens verbreitet. Für den Westen ist die Palmprozession spätestens ab dem 8. Jahrhundert bezeugt.
In der Feier der heutigen Liturgie holen wird das Ereignis des Einzugs Jesu in Jerusalem in die Gegenwart herein. Das, was damals geschah, ist nicht ein Ereignis aus ferner Zeit, sondern hat auch für uns heute Bedeutung. Wenn wir dem Lauf der Berichte der Evangelien folgen, so steht an erster Stelle die Beschaffung eines Esels durch die Jünger als Reittier für Jesus.

Palmesel

Jesus sagte: Geht in das Dorf, dort werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Fohlen bei ihr. Bindet sie los, und bringt sie zu mir! - Die Jünger brachten die Eselin und das Fohlen, legten ihre Kleider auf sie, und er setzte sich darauf. (Mt 21,2.7)
Palmsonntag

Viele von Ihnen kennen sicher den Brauch, dass derjenige, der in der Familie am Palmsonntag zuletzt aufsteht, zum Palmesel ernannt wird. Ein solcher Palmesel zu sein ist somit kein erstrebenswertes Ziel. Ähnlich wurde mancherorts derjenige, der sich mit seinen Palmbuschen als letzter in die Prozession eingereiht hat, zum Palmesel abgestempelt.
Ab dem Mittelalter bis in unsere Zeit hinein wurde an vielen Orten bei der Prozession am Palsonntag ein hölzerner Esel auf Rädern mit einer darauf thronenden Christusfigur mitgeführt. Ein Brauch, der das Geschehen des Palmsonntags für die Menschen anschaulich werden lassen sollte.
Alle Evangelien berichten davon, dass Jesus auf einem Esel reitend in Jerusalem eingezogen ist. Es ist ein junger Esel, auf dem vorher noch niemand gesessen hat. Jesus beauftragt seine Jünger, diesen bei gewissen, nicht näher genannten Leuten, zu holen. Da die Evangelien von dem Esel und seiner Beschaffung relativ ausführlich berichten, liegt die Vermutung nahe, dass dieser Vorgang eine tiefere Bedeutung hat. Johannes Chrysostomus geht in seiner Auslegung des Matthäus-Evangeliums ausführlich auf dieses Ereignis ein:

Jesus sagte voraus, dass niemand sie hindern werde, vielmehr auf ihre Worte hin alle zu diesem Tun schweigen würden. ... Irrig wäre die Meinung, der Vorgang habe nicht viel zu bedeuten. Denn wie kamen diese Landleute, die wahrscheinlich arm waren, dazu, sich ohne Widerspruch ihr Eigentum entführen zu lassen? ... Zwei sehr auffallende Umstände: sie sagten gar nichts dazu, dass man ihre Lasttiere wegführte und willigten noch ohne Widerrede ein, als sie hörten, der Herr bedürfe ihrer; und dabei sahen sie ihn selbst nicht einmal, sondern nur seine Jünger.

Johannes Chrysostomus deutet dies zum einen als ein Zeichen dafür, dass Jesus auch leicht seinem Leiden hätte entgehen können, wenn er es gewollt hätte. Wie die Besitzer des Esels seinem Wunsch willig folgten, so hätte er sich auch die Gunst der Juden erwerben können. Doch nach Gottes Willen sollte es anders kommen.

Jesus wollte die Jünger, die über seinen bevorstehenden Tod betrübt waren, ermutigen und ihnen zeigen, dass er sich dem ganzen Leiden freiwillig unterzog.

Der Esel, der sich so willig zum Herrn führen und von ihm in Dienst stellen lässt, wird aber auch zu einem Bild der Kirche und jedes einzelnen Gläubigen.

Beachte dabei, wie fügsam das Füllen ist. Obwohl noch nicht zugeritten und noch an keine Zügel gewohnt, schreitet es doch ruhigen Schrittes dahin, ohne sich zu bäumen. Auch in diesem Umstand liegt eine Prophezeiung: es wird angedeutet, wie willig sich die Heiden zeigen und mit welcher Bereitwilligkeit sie sich in die neue Ordnung fügen werden.

Wenn schon die Heiden sich so willig zu Christus hin bekehren, wie viel mehr müssen dann die Gläubigen ihm dienen! Jesus zeigt den Aposteln und uns allen, dass wir bereit sein sollen, ihm alles zu schenken. Dieses Schenken zeigt sich ganz besonders im Dienst an den Armen, dem Almosengeben, zu dem wir in der Fastenzeit besonders aufgerufen sind.

Christus verlangt nur, dass wir den Bedürftigen geben, und verheißt uns dafür das Himmelreich. ... Seien wir also nicht so kleinlich, nicht so unmenschlich und grausam gegen uns selbst, sondern ergreifen und betreiben wir vielmehr dieses vorzügliche Geschäft, dann werden wir glücklich hinübergehen und es zugleich auch unseren Söhnen hinterlassen können; dann werden wir auch der ewigen Güter teilhaftig werden durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, dem mit dem Vater und dem Heiligen Geiste Ruhm, Macht und Ehre sei jetzt und allezeit und in alle Ewigkeit. Amen!

Johannes Chrysostomus stellt uns also den Palmesel geradezu als Vorbild hin. Der Esel, der eigentlich ein störrisches Tier ist, fügt sich ganz dem Willen Christi. Auch wir sind ja oft störrisch und eigensinnig und uns täte es manchmal auch ganz gut, mehr auf das zu achten, was der Herr von uns erwartet. So wäre es sicher gar nicht mal so schlecht für uns, in diesem Jahr der "Palmesel" zu sein.

In der Karwoche gedenken wir dem Leiden, Sterben und Auferstehen unseres Herrn. Dabei erinnern wir uns jedoch nicht einfach an geschichtliche Ereignisse, wir spielen nicht ein sinnloses Theaterstück nach, vielmehr erinnern wir uns an die Geschehnisse und denken über sie nach, damit wir selbst zum Werk Christi gehören können. Unser Herr gab sich seinem Vater hin. Er gab ihm seine Liebe, die er durch Gehorsam bezeugte und dieser Gehorsam ging bis zur Annahme des eigenen Todes. Gleichzeitig schritt er durch den Tod hindurch zum Leben, damit wir alle an seiner Auferstehung teilhaben können.

Basil Hume
Palmsonntag

Normalerweise ist Jesus zu Fuß unterwegs. Er wandert in Sandalen durch das Land. Nur heute, am Palmsonntag, hören wir, dass Jesus nicht zu Fuß geht. In die heilige Stadt Jerusalem reitet er auf einem Esel. Menschen breiten ihre Kleider vor ihm aus, damit er nicht auf dem Schmutz der Straße in die Stadt einziehen muss. Wie ein König reitet er über einen festlich-bunten Teppich.
Wie einem König rufen die Menschen Jesus Heil und Segen zu. Jesus lässt den Jubel der Menge zu. So ist es Gottes Wille. Jesus weiß, dass er den Menschen Heil und Segen bringen wird. Doch dies wird anders geschehen, als es sich die Menschen ausdenken können.
Eindrucksvoll führen uns die Verse eines Hymnus aus dem 9. Jahrhundert von Theodulf von Orleans das Geschehen des Palmsonntags vor Augen:

R. Ruhm und Preis und Ehre / sei dir, Erlöser und König!
Jubelnd rief einst das Volk / sein Hosianna dir zu.
R. Ruhm und Preis und Ehre...

Du bist Israels König, / Davids Geschlechte entsprossen,
der im Namen des Herrn / als ein Gesegneter kommt.
R. Ruhm und Preis und Ehre...

Dir lobsingen im Himmel / ewig die seligen Chöre;
so auch preist dich der Mensch, / so alle Schöpfung zugleich.
R. Ruhm und Preis und Ehre...

Einst mit Zweigen in Händen / eilte das Volk dir entgegen;
so mit Lied und Gebet / ziehen wir heute mit dir.
R. Ruhm und Preis und Ehre...

Dort erklang dir der Jubel, / als du dahingingst zu leiden;
dir, dem König der Welt, / bringen wir hier unser Lob.
R. Ruhm und Preis und Ehre...

Hat ihr Lob dir gefallen, / nimm auch das unsre entgegen,
großer König und Herr, / du, dem das Gute gefällt.
R. Ruhm und Preis und Ehre...

Palmsonntag

Ruhm und Preis und Ehre sei dir, Christkönig und Erlöser!

Als Jesus auf dem Esel Platz genommen hat, kann der festliche Einzug in Jerusalem beginnen. Wie vor einem König breiten die Jünger vor Jesus ihre Kleider auf der Straße aus und zieren den Weg mit Palmzweigen. Wir kennen es heute noch, dass ein roter Teppich ausgelegt wird, wenn hohe Staatsgäste oder Prominente empfangen werden.
Es ist ein wahrhaft königlicher Einzug, den Jesus in Jerusalem inszeniert, ganz anders als wir es von seinem bisherigen Auftreten gewohnt sind. Jesus erfüllt die Messias-Weissagung des Propheten Sacharja:

Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft; er ist demütig und reitet auf einem Esel, auf einem Fohlen, dem Jungen einer Eselin. (Sach 9,9)

So ist das Reiten Jesu auf einem Esel sicherlich zunächst ein Zeichen seiner Demut.

Er kommt also nicht auf einem Wagen, wie andere Könige, nicht um Steuern einzuheben, nicht mit Groß und Leibwache, sondern er bekundet auch hierin eine große Bescheidenheit. (Johannes Chrysostomus)

Wenn Jesus aber auf einem Esel in Jerusalem einzieht, so macht er damit zugleich seinen Anspruch deutlich, der Messias, der neue König von Israel zu sein. Die Menschen wissen dieses Zeichen zu deuten. Die einen hoffen nun auf den Anbruch der neuen Gottesherrschaft, die anderen versuchen diese mit allen Mittel zu verhindern. Womit aber wohl keiner rechnet ist das, was in den nächsten Tagen in Jerusalem geschehen wird: Dass der Messias-König seine Herrschaft antritt als König am Kreuz.
Viele jubeln Jesus zu. Auch wir jubeln heute beim feierlichen Einzug in die Kirche. Wie das Volk damals rufen auch wir Christus unser Hosanna zu und gehen ihm entgegen mit Zweigen in den Händen. Doch dann wird es still in der Kirche und sogleich hören wir im Evangelium vom Leiden und Sterben des Herrn.
Der Palmsonntag ist das Tor zur Heiligen Woche. Plötzlich sind wir mitten im Geschehen um Jesu Leiden und Tod und eilen mit großen Schritten auf Karfreitag zu. Doch der heutige Jubelruf hat uns auch schon einen Schimmer des Osterlichtes spüren lassen, das wir in einer Woche in der Liturgie der Osternacht festlich begrüßen werden.

Stimmen wir uns ein auf die Heilige Woche, erleben wir diese Tage ganz bewusst, indem wir die Ereignisse der letzten Tage Jesu in der Heiligen Schrift betrachten und betend seinen Kreuzweg mitgehen.

Palmsonntag

Palmzweige

Palmzweige sind in den Ländern des Orients seit ältesten Zeiten Symbol der Huldigung. Schon früh entstand unter Christen der Brauch, am Sonntag vor Ostern Jesus mit Palmzweigen zu ehren, wie es die Menschen damals bei seinem Einzug in Jerusalem getan haben. Man nahm dazu Palmen oder Ölbaumzweige. Da solche aber nur in den südlichen Ländern zu haben waren, verwendete man in anderen Gegenden grünende und blühende Zweige anderer Bäume. In Mitteleuropa nahm man meist Zweige von Weiden, die schon Kätzchen tragen.
Im Mittelalter schrieb man den Palmzweigen im Volksglauben magische Wirkung zu. Man nahm die Zweige mit nach Hause, um Mensch und Vieh unter den besonderen Segen Gottes zu stellen. Um dem Aberglauben zu wehren, hat die Kirche eine besondere Segensformel für die Segnung der Palmzweige gewählt, womit deutlich werden sollte, dass nicht von den Zweigen an sich eine besondere Kraft ausgeht, sondern von dem über die Zweige gesprochenen Segen.
Auch heute nehmen wir gerne die Palmzweige mit nach Hause und stecken sie an das Kreuz. Damit ehren wir Christus und bitten ihn um seinen Segen für uns und unsere Familien. Die Zweige erinnern uns daran, dass wir Christus den Weg bereiten wollen in unser Leben und in unsere Seele, damit wir nach seinem Willen leben und einst mit ihm einziehen dürfen in das himmlische Jerusalem.

Palmsonntag

Die vier Gottesknechtslieder schildern in poetischen Worten das Schicksal des Propheten Deuterojesaja unter den verschleppten Israeliten im babylonischen Exil. Sie wurden aber zugleich zum Bild für das leidende Gottesvolk und zum Vorausbild für Christus. Gerade die Leiden des Propheten im Dienst Gottes für das Volk erfüllte Christus auf einzigartige Weise durch seinen Kreuzestod zum Heil der Menschen. Daher haben das dritte und vierte Gottesknechtslied einen festen Platz in der Liturgie der Passionszeit, das dritte Gottesknechtslied wird am Palmsonntag, das vierte am Karfreitag gelesen.
Knecht Gottes meint den von Gott in besonderer Weise in Dienst Gerufenen. Durch das Hören auf Gottes Botschaft gleicht dieser einem Schüler oder Jünger, der die Worte des Meisters hört, diese betrachtend verinnerlicht und in der Tat erfüllt. Wenn auch Christus in seiner göttlichen Natur weit mehr war als ein Schüler Gottes, so hat er doch als Mensch immer wieder die betende Zwiesprache mit seinem Vater im Himmel gesucht. Wenn wir Christus nachfolgen, bekommen die Worte des Propheten auch für uns eine drängende Aktualität.
Gottes Wort ist Zuspruch für die Menschen. Es dient nicht der inneren Erbauung des Jüngers, sondern er soll es verkünden zur Stärkung des Volkes. Der Knecht Gottes, auch wenn er selbst geschlagen wird, übt keinerlei Unterdrückung aus, sondern stärkt und baut seine Mitmenschen auf. Woher nimmt er aber die Kraft? Allein aus seiner Verbindung zu Gott.
Der Diener Gottes muss immer wieder in lebendige Zwiesprache mit Gott treten. Das ist das unerschütterliche Fundament seines Lebens. Am Beginn jedes Tages, vor jedem Tun und auch am Ende des Tages versetzt er sich in die Gegenwart Gottes. Was will Gott heute von mir? Was will er jetzt in dieser konkreten Situation von mir? Er verliert sich nicht in falschem Aktionismus und richtungslosen Irrwegen. Die Konzentration auf Gott gibt ihm Richtung und Entschiedenheit.
Gott ist es, der ihm das Ohr geöffnet hat. Gott hat ihn gerufen. Ein interessantes Bild. Wenn Gott ruft, dann öffnet er die Verbindung zwischen sich und uns. Gott ergreift die Initiative, der Mensch aber entscheidet, ob er Gottes Ruf zu sich dringen lässt oder ignoriert. Gott ruft, aber er zwingt nicht. Er wartet, ob wir bereit sind, die Verbindung aufrecht zu erhalten. Wer aber als von Gott Gerufener das verkündet, was Gott zu ihm gesprochen hat, tritt mit einer unüberbietbaren Autorität auf.
Immer aber sind es nur wenige, die auf den Knecht Gottes hören. Etliche mögen gleichgültig sein, manche aber treten in Opposition zum ihm. Gerade die Mächtigen sind oft nicht bereit, sich der Autorität seines Auftretens unterzuordnen. So ergeht es den Boten Gottes zu allen Zeiten. Auch Christus führte sein Auftreten in göttlicher Vollmacht zur Anklage wegen Gotteslästerung und Hochverrat.
Christus ist das perfekte Abbild des leidenden Gottesknechts. Die Evangelien schildern die Verspottung und Folter, die Jesus angetan wurden. Er wurde verhöhnt, bespuckt und gegeißelt. Dabei blieb er stumm, wie ein Lamm angesichts des Scheerers, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. Er wehrte sich nicht vor den Schlägen, gab keine Beleidigung zurück. Wer selbst einmal zu Unrecht beschuldigt und verhöhnt wurde, der weiß, dass es viel mehr Kraft erfordert, hier ruhig zu bleiben, als sich zu wehren. Das Schweigen Jesu ist also nicht Zeichen von Schwäche, sondern von innerer Größe.
Und doch wahrt er sein Gesicht. Wir sehen es auch bei den Märtyrern. Erhobenen Hauptes gehen sie stolz in den Tod. Der Gerechte lässt sich nicht unterkriegen. Er weiß, dass er für die Gerechtigkeit einsteht und dass diese letztlich siegen wird, auch wenn er für sie in den Tod geht. Gott wird für seine Sache eintreten. Wenn es hart auf hart kommt, können wir die Gerechtigkeit nicht mehr mit Worten verteidigen, sondern nur noch durch Standhaftigkeit bis in den Tod. Doch die Gerechtigkeit wird nicht untergehen, sondern Gott wird immer neu seine Knechte rufen.

Palmsonntag

Jesu Selbsterniedrigung

Christus Jesus war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein,
sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Phil 2,6f.

Was in der heutigen Lesung aus dem Philipper-Hymnus gesagt wird, bringt die Oration des heutigen Tages deutlich zum Ausdruck:

Allmächtiger, ewiger Gott!
Deinem Willen gehorsam,
hat unser Erlöser Fleisch angenommen,
er hat sich selbst erniedrigt
und sich unter die Schmach des Kreuzes gebeugt.
Hilf uns, dass wir ihm auf dem Weg des Leidens nachfolgen
und an seiner Auferstehung Anteil erlangen. Amen.

Jesus nahm dem Willen des Vaters gehorsam den Weg des Menschseins auf sich. Uns Menschen gleich lebte Gott als Mensch. Doch nicht strahlend wie ein reicher Fürst, sondern er stieg bis in die tiefste Tiefe des Menschseins hinab. Dort wollte er uns nahe sein.
Freiwillig nahm Jesus sein Leiden auf sich. Auch wenn es scheint, dass er im Geschehen um sein Leiden und Sterben nur der Erleidende ist, so bleibt er doch derjenige, der dieses Geschehen aktiv gestaltet, indem er es annimmt. Bereits vor seinem Weg nach Jerusalem hat Jesus sich bewusst für diesen Tod entschieden. Als er als Messias-König in Jerusalem einzog, wusste er, was ihm in dieser Stadt bevorstand. Er erfüllte die Verheißung der Propheten und tat, was der Wille des Vaters war. Auch wenn es uns unverständlich erscheinen mag, dies war der Weg, auf dem Gott das Böse besiegen wollte, um uns allen das Heil bringen zu bringen.
Wenn wir dies betrachten, so können wir erkennen, dass alles Leiden und alle Gewalt ihre Kraft verlieren. Wenn wir Ja sagen zum Leiden, so sind wir nicht mehr die passiv Leidenden, sondern dann bleiben wir selbst aktiv bei allem, was um uns geschieht. Das ist die Quelle, aus der die Märtyrer ihre Kraft schöpfen, das ist die Quelle, die bis heute vielen Menschen die Kraft gibt, oft unbeschreibliches Leid zu ertragen.
Jesus ging diesen Weg, der nicht in der Sackgasse des Leidens endete, sondern der die undurchdringlich scheinende Mauer des Leidens durchbrach und den Weg in die unbeschreibliche Freude der Auferstehung öffnete. Oft sehen wir den Weg nicht, erkennen nicht das Licht, das hinter unseren Schatten scheint. Jesus reicht uns die Hand, die blutverschmierte Hand des Gekreuzigten, doch nicht um uns ins Leiden zu ziehen, sondern um uns an dieser Hand zur Freude der Auferstehung zu führen.
Jesus nimmt uns an der Hand, um mit ihm nun in dieser Karwoche den Weg des Leidens zu gehen. Er wird diese Hand nicht loslassen, wenn er nach seinem Tod zum Vater geht, sondern nimmt uns mit in die Herrlichkeit der Auferstehung, wie er gesagt hat:

Wenn ich von der Erde erhöht bin, werde ich alle an mich ziehen. (Joh 12,32)