Ein Kind ist uns geboren (Jes 9)
Ja, ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. (Jes 9,5a)
Dieser Vers wird in der lateinischen Kirche seit alters her als Eröffnungsgesang der Messe am Weihnachtstag gesungen. Nach der modernen Leseordnung hören wir ihn in der Lesung in der Heiligen Nacht. Jesaja verheißt die Geburt eines Kindes, das mehr ist als nur ein besonderer Mensch, ein Königssohn und Thronfolger. Er verheißt die Geburt eines Kindes, in dem Gott selbst mitten unter uns ist, eines Kindes, das Gottes Sohn ist. Als Christen sehen wir in der Geburt Jesu Christi, die wir an Weihnachten feiern, die Erfüllung der Weissagung des Jesaja.
Wir haben uns an die Darstellungen der Krippe von Betlehem, an die Romantik mit Ochs und Esel und Hirten, eingehüllt in ein warmes Licht, vielleicht so sehr gewöhnt, dass uns das Ungeheuerliche, das dahintersteht gar nicht mehr bewusst wird. Gott wird ein Kind. Götter sind doch groß und erhaben, dem Zugriff der Menschen entzogen, vielleicht kommen sie in manchen Mythen als Helden auf die Welt. Dass aber Gott ein kleines, schwaches Kind wird, das hat man noch nie gehört. Zudem ist es auch gar kein Wunderkind, sondern einfach ein ganz normales Kind.
Gott will uns seine Macht in der Machtlosigkeit eines Kindes zeigen. Gott will uns zeigen, dass er so mächtig ist, dass er gerade durch ein hilfloses Kind die Menschen retten kann. Wir Menschen schauen oft nur auf das Äußere, auf imposante Gesten, lassen uns von der Zurschaustellung von Macht beeindrucken. Die Werbung heutzutage gaukelt uns mit schönen Bildern vor, dass jedes noch so wertlose Zeug etwas ist, das wir unbedingt haben müssen und uns zu einem besseren Menschen macht und wir wundern uns, warum wir so unzufrieden sind, obwohl wir doch so vieles haben.
Wertvoll sind Menschen und Dinge nicht durch den äußeren Schein, nicht durch Werbung oder dadurch, dass sie viele "Follower" in den sozialen Netzwerken haben. Wahre Werte, das was Menschen oder Dinge wirklich wertvoll macht, ist etwas, das nicht in Geld gemessen werden kann. Wir können uns Unterhaltung, Dienstleistungen und auch Spaß mit Geld kaufen, aber wahre Liebe gibt es nicht für Geld. Menschen, die in wirklich allen Lebenslagen zu uns stehen, sind unbezahlbar, gerade auch deshalb, weil sie keinen Lohn für ihre Zuwendung erwarten.
Gott hat uns an Weihnachten ein unbezahlbares Geschenk gemacht. Er ist zu uns gekommen als ein kleines Kind. Vielleicht finden wir Gott auch heute wieder am leichtesten in der Betrachtung dieses Kindes. Gott ist uns so nahe, dass wir ihn in die Arme nehmen können, wie ein kleines Kind. Und wie Kinder mit ihrem Lächeln die Menschen verzaubern können und selbst die härtesten Herzen anrühren, so will Gott uns mit seiner Nähe verzaubern und unsere harten Herzen öffnen.
Weihnachten ist das Fest der Nähe. Näher konnte Gott uns nicht kommen als in der Geburt seines Sohnes, der Mensch, der Kind werden wollte für uns. In unserem Bruder Jesus aber sind auch wir einander nahegerückt.
(Klaus Hemmerle)
Mit seiner Geburt will Gott auch uns Menschen zusammenführen, dass wir zusammen feiern, Menschen verschiedener Klassen und Schichten, Menschen verschiedener Rassen und Kulturen. In der Gegenwart des göttlichen Kindes soll Frieden sein und Freude. Draußen bleiben alle, die mit Weihnachten nur Geld verdienen möchten, die weihnachtliche Gefühle in den Menschen wecken, um sie zum Konsum zu motivieren. Verbannen wir den Kommerz von unserem Weihnachtsfest. Ja, ein paar kleine Geschenke sind schön, für Erwachsene und ganz besonders auch für Kinder, aber sie sind wertlos, wenn das Wichtigste an Weihnachten fehlt, die Erfahrung, dass Gott zu uns gekommen ist mit seiner Liebe, die Erfahrung, dass Gott uns mehr geschenkt hat, als wir jemals werden schenken können.
Niemand kann Weihnachten feiern, ohne selbst wirklich arm zu sein. Die Selbstgefälligen, Stolzen, diejenigen, die alles haben und auf andere herabblicken, alle, die Gott nicht brauchen, sie werden Weihnachten nicht erleben. Nur die Armen, die Hungrigen, die jemanden brauchen, der für sie eintritt, werden es bekommen.
Dies ist Gott, Emmanuel, der Gott-mit-uns. Ohne Armut kann Gott uns nicht erfüllen.
(Oscar Romero)
Quem pastores laudavere - Das Lob der Hirten (Lk 2)
Sie gehören zu jeder Weihnachtskrippe wie das Salz in die Suppe, in unterschiedlich großer Zahl, mit Schafen und Hunden stehen sie um den Stall und bestaunen, was dort geschehen ist:
Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren!
Über ihnen der Chor der Engel, der diese frohe Botschaft bringt und unablässig Gott zu Ehren singt:
Gloria! Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade!
Sie eilen hin, den Gott und Retter anzubeten, der als Kind geboren ist.
Hört, es singt und klingt mit Schalle:
Fürcht euch nicht, ihr Hirten alle.
Macht euch auf, geht hin zum Stalle:
Gott ward Mensch, des freut euch sehr.
Heutzutage sind uns Hirten wenig vertraut. Das Volk Israel aber war von seinem Ursprung her ein Hirten- und Nomadenvolk. Der Stammvater des Volkes zog mit seinen Herden durch das Land, dann siedelte sich das Volk in Ägypten an und kehrte Jahre später auf einem beschwerlichen Weg durch die Wüste in das Land Israel zurück und wurde sesshaft. Doch weiterhin bildeten großen Herden einen wichtigen Bestandteil der Lebensgrundlage.
Auch der König Israels schlechthin, König David, Urbild aller Könige und Vorbild für den Messias, war Hirte. Als Gott den Propheten Samuel beauftragte, einen neuen König über Israel zu salben, musste der junge David erst von den Herden nach Hause geholt werden.
Die Hirten weisen hin auf den Ursprung Israels. Aber noch mehr. Hirte sein ist auch eine wahrhaft göttliche Aufgabe. Im Alten Testament wird Gott oft als Hirte Israels bezeichnet und Jesus selbst nennt sich den guten Hirten. So wird die Fürsorge Gottes für sein Volk sichtbar. Die Hirtensorge Jesu geht bis zum Tod:
Der gute Hirte gibt sein Leben hin für die Schafe.
Schön drückt der bekannte Psalm 23 die Hirtensorge Gottes aus:
Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen. Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser. Er stillt mein Verlangen, er leitet mich auf rechten Pfaden, treu seinem Namen.
Das Bild vom göttlichen Hirten setzt voraus, dass sich das Volk auch von ihm leiten lässt. Allzu oft musste Israel die Erfahrung machen, dass es in die Irre ging, wenn es meinte, seinen eigenen Vorstellungen und nicht den Wegen Gottes folgen zu müssen. So zeigt sich, dass die Führung Gottes keine Fessel ist, sondern Wegweisung in eine erfüllte Freiheit.
Doch auch heute ist man nicht weiter als damals und meint, Freiheit sei dort zu finden, wo man keinerlei Weisung zu beachten hat. Einen Vorteil von einer solchen Einstellung haben allein die Wölfe, die immer fetter und zahlreicher werden von all den verirrten Schafen. Das lässt uns einstimmen in den Ruf des Psalmisten (Ps 80,2f):
Du Hirte Israels, höre, der du Josef weidest wie eine Herde!
Biete deine gewaltige Macht auf, und komm uns zu Hilfe!
Gott hat seine Macht aufgeboten und ist gekommen, um uns zu helfen. Seine Macht ist oft unscheinbar und menschlicher Logik widersprechend, aber doch ist sie mächtiger als alles auf der Welt. Fortan kämpfen die Mächtigen dieser Welt gegen dieses Kind. Schon Herodes trachtete ihm nach dem Leben. Nur die Kleinen erkennen in dem Kind den machtvollen Retter. Die Hirten sind die ersten von denen, die Gott gesehen haben, der sich ganz klein gemacht hat, uns Menschen gleich, um uns nicht in seiner Macht, sondern in seiner Schwäche zu sich zu rufen. Sie haben gesehen und geglaubt.
Die Gnade Gottes ist erschienen (Tit 2)
Die Liturgie des Weihnachtsfestes sieht drei Messformulare mit den zugehörigen Schrifttexten vor. Hinzu kommt eine Messe am Vorabend des Weihnachtstages. Bei dieser wird als Evangelium der Stammbaum Jesu Christi und die Geburt nach Matthäus vorgetragen. In der Festmesse am Weihnachtstag hören wir dann als Evangelium den berühmten Prolog aus dem Johannes-Evangelium.
Die bekannteste Messe zum Weihnachtsfest ist sicher die in der Heiligen Nacht, in der wir aus dem Lukas-Evangelium von der Geburt Jesu in der Krippe zu Betlehem hören (Lk 2,1-14). Für den Morgen des 25.12. ist die sogenannte Hirtenmesse vorgesehen, in der als Fortsetzung des Evangeliums der Heiligen Nacht die Anbetung der Hirten vor dem Jesuskind gelesen wird (Lk 2,15-20). Zu diesen beiden Evangelien und der Bedeutung der Hirten finden Sie die Texte auf der folgenden Seite zur Hirtenmesse.
In der Heiligen Nacht hören wir eine Lesung aus dem Brief an Titus. Dort heißt es:
Denn die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten. (Tit 2,11)
Der Titusbrief ist ein Lehrschreiben an christliche Gemeinden, das Regeln für das Leben der Vorsteher und aller Christen formuliert. Die Gläubigen werden dazu aufgerufen, ihrer Berufung gemäß zu leben, in der Hoffnung auf die Wiederkunft des Herrn.
Das Leben der Christen spielt sich ab in einem "Jetzt", das in der weiten Spanne zwischen dem "Einst" und dem "Noch nicht" liegt. Jesus Christus ist gekommen, um uns zu erlösen. In seiner Geburt ist Gottes Gnade in der Welt aufgestrahlt, in seinem Tod und seiner Auferstehung wurde sie allen offenbar. So hat Christus das Werk der Erlösung vollendet.
Wir leben als Erlöste in dieser Welt und sind doch stets den Versuchungen dieser Welt ausgesetzt. Es gilt, den Blick von den Dingen dieser Welt auf das Licht Gottes zu richten. Wir müssen lernen, über das hinaus zu blicken, das uns vor Augen liegt. Nur dann können wir die Botschaft Jesu Christi verstehen und entdecken, was Gottes Gnade bedeutet.
Denn die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten. (Tit 2,11)
Gott auf Erden, Gott unter Menschen, nicht im Feuer und unter Posaunenschall, nicht auf rauchendem Berg oder bei Dunkel und bei herzerschütterndem und ohrenbetäubendem Sturmwind Gesetze gebend, sondern in leiblicher Erscheinung sanft und gütig mit Seinesgleichen verkehrend.
Gott im Fleische, nicht aus weiten Entfernungen wirksam wie in den Propheten, sondern vereint mit einer der Menschheit wesensgleichen Natur, um so durch sein mit uns verwandtes Fleisch die ganze Menschheit zu sich zurückzuführen. (Basilius der Große)
Gott mitten unter uns. An Weihnachten offenbart uns Gott seine Nähe und seine Liebe. Er will bei uns sein, mitten unter uns sein. Das ist die Weihnachtsbotschaft heute und für das ganze Jahr. Wir sind nicht allein in der Welt, nicht verloren im Universum. Überall ist Gottes Nähe erfahrbar. Wir können sie entdecken, wenn wir den Blick auf den richten, der unter uns als Mensch erschienen ist. Er bleibt bei uns alle Tage. Nicht im Donnerschall, nicht im gebietenden Gesetz, sondern still und verborgen als das Kind von Betlehem.
Erschienen bist du heute der Welt, und
dein Licht ward auf uns gezeichnet, o Herr,
und erkennend singen wir dir:
Gekommen und erschienen bist du,
das unzugängliche Licht!
(Gebet der Ostkirche)
Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest und dass Sie Gottes Liebe und seine Nähe immer tiefer erfahren.